Seejungfrauen kuesst man nicht
doch unter uns. Abigail macht das doch nichts aus, oder?«
»Nein«, quiekte ich, während meine Augen vor Anstrengung, sie nicht anzustarren, tränten.
»Da bist du also. Ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen, Abigail. Bitte nenn mich Lexi.« Sie beugte sich über das Bügelbrett und schüttelte mir die Hand, wobei ihre Brüste bebten. Mir war nie aufgefallen, dass sie so beweglich sein konnten. Wenn ich meine Mutter, die sowieso flachbrüstig war, mit ihrer gewaltigen Panzerung aus elastischen, engmaschigen Hüfthaltern und Nylonspitzenunterröcken umarmte, war es ungefähr so, als würde man mit einem dressierten Huhn zusammenstoßen.
»Komm«, sagte Frances ungeduldig. »Lass uns nach oben gehen.«
»Nehmt das hier mit«, befahl Lexi und deutete auf die Wäschehaufen. Frances sah mich an und hob die Augen gen Himmel. Wie zur Antwort kam von oben ein lautes Krachen, gefolgt von Flüchen und dem Geräusch schwerer Möbel, die an Holz entlangschrammten.
»HEBEN, NICHT ZIEHEN!«, brüllte Lexi zur Decke, während wir uns ganze Bündel Hemden über die Schulter warfen und gefaltete Betttücher und Handtücher aufsammelten, die noch warm waren und nach Garten rochen.
Auf dem ersten Treppenabsatz standen, verkehrt herum ans Geländer gelehnt, zwei Einzelbetten, festgekeilt von einem Doppelbett, das auf der Seite lag und zur Hälfte aus einer Tür herausragte. Über dem vorderen Ende erschienen Kopf und Schultern eines Mannes. Ich war erleichtert, dass er angezogen war. »Bleibt aus dem Weg, Mädels. Wenn ich‘s mir recht überlege, Frances, wieso fasst ihr beide nicht an diesem Ende an und versucht, es an diesem Bein vorbeizuheben.«
»Was geht hier vor?«, wollte Frances wissen. »Was macht ihr mit meinem Bett?«
»Wonach sieht es denn aus? Wir tauschen eure Einzelbetten gegen unser Doppelbett.«
»Wieso?«
»Weil deine Mutter sich ständig beschwert, dass ich sie aufwecke, wenn ich von der Arbeit komme.«
»Dann krieg ich das Doppelbett für mich ganz allein?«, fragte Frances misstrauisch.
»Ja. Wenn wir es aus dieser Tür hier rauskriegen.«
»Wo ist Rad?«
»Oben in seinem Zimmer und arbeitet.«
»Du hast hier ein bisschen von der Farbe abgeschrabbt«, kam die Stimme eines anderen Mannes vom hinteren Ende des Bettes.
»Oh, hallo Onkel Bill«, sagte Frances zu der Stimme, befreite mich von der Bügelwäsche und lud alles, nicht sehr ordentlich, auf dem Fußboden im Bad ab.
Begleitet von angestrengtem Grunzen aus dem Schlafzimmer ruckelte das Bett noch einen knappen Meter zurück, wobei es einen ziemlich großen Streifen Holz vom Türrahmen mitnahm. Frances quetschte sich durch die Lücke und trabte mit mir auf den Fersen die nächste Treppe hinauf. »Das war mein Dad«, sagte sie.
»Du brauchst uns nicht miteinander bekannt zu machen«, rief er hinter uns her. »Ich bin ja bloß der Gelegenheitsarbeiter.«
Der zweite Treppenabsatz wurde von einem Dachfenster erhellt und war noch kleiner als der erste. An den drei Seiten, die nicht von der Treppe eingenommen wurden, befanden sich geschlossene Türen. »Das ist Auntie Mims Zimmer.« Frances zeigte auf eine davon, klopfte dann heftig an die zweite und riss sie auf, ohne auf eine Antwort zu warten. »Und da«, sagte sie, als würde sie irgendeine interessante Neuanschaffung in einem Zoo vorführen, »ist Rad.«
Ein ungefähr vierzehnjähriger Junge saß mit dem Rücken zu uns an einem Schreibtisch. Er drehte sich um und sah Frances mürrisch an, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Er hatte dichtes, dunkles Haar, das ihm widerspenstig und ungebürstet in die Augen fiel, die so dunkel waren, dass schwer festzustellen war, wo die Iris endete und die Pupille begann.
»Sieht gut aus, was?«, sagte Frances mit gewissem Stolz.
Das tat er sicher, obwohl ich als Einzelkind an einer Mädchenschule keine Expertin für männliche Schönheit war. Ich stieß ein nervöses Lachen aus, das ja und nein hätte bedeuten können, und konzentrierte mich darauf, ein weiteres Erröten zu unterdrücken. Abgesehen von den Bücherregalen waren die Wände in seinem Zimmer nackt, an manchen Stellen bis aufs Mauerwerk. Auf dem Schreibtisch lag im Lichtkegel einer Leselampe ein Stapel Bücher mit faszinierenden Titeln: Der Fänger im Roggen, Herr der Fliegen, Erinnerungen eines Infanterieoffiziers, Der Mythos von Sisyphos.
»Rad ist Atheist«, flüsterte sie vertraulich, als wir uns wieder nach unten begaben. »Eigentlich sind wir das alle, außer Mum. Sie
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