Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Couchtisch, auf dem sich mindestens ein Dutzend benutzter Teetassen, eine große Schüssel Nüsse und ein noch größerer Haufen Nussschalen befand. Das Gasfeuer bullerte so hell wie Neon vor sich hin. Ich konnte fast spüren, wie die Hitze durch das Fenster kam: Ich gab der anderen Kerze keine großen Chancen.
    Growth bahnte sich durch den Abfall aus heruntergefallenen Nussschalen einen Weg zum Kaminvorleger, wo er sich unmöglich nahe beim Feuer niederplumpsen ließ. Ein leises Hupen von der Straße erinnerte mich daran, dass Vater im eingeschränkten Halteverbot stand. Ich schob den Schlüsselanhänger in seiner grüngoldenen Verpackung durch den Briefkasten, der wie eine Falle zuschnappte, worauf Growth zur Tür zurückflitzte. Ich hörte sein Knurren und das Geräusch von reißendem Papier und ging zum Auto und zu unserem eigenen, ruhigen Weihnachtsfest zurück.

10
    Die Einladung kam erst im nächsten Frühling. Bis dahin war Frances bereits mehrmals bei uns gewesen und hatte meinen Vater vollkommen bezaubert, der sie für »lebendig« erklärte.
    »Sie ist eine sehr selbstbewusste junge Dame«, lautete das Urteil meiner Mutter, vorgebracht in einem Ton, der mich in keinem Zweifel darüber ließ, dass Selbstvertrauen nicht unbedingt etwas war, wonach man streben sollte.
    Frances brachte die Einladung an einem Freitagnachmittag am Ende der letzten Stunde vor, als wir unsere Bücher für die Wochenendhausaufgaben sortierten.
    »Hast du morgen schon irgendwas vor?«
    »Nein«, sagte ich hoffnungsvoll.
    »Möchtest du zu uns kommen? Wir könnten mit Growth in den Wald gehen oder einfach nur zu Hause rumhängen.«
    »Ist deine Familie da?«
    »Wahrscheinlich ja, so ein Pech. Egal, du musst sie sowieso früher oder später kennen lernen. Achte nicht auf meinen Dad. Er wird die ganze Zeit versuchen, lustig zu sein - lach nicht über seine Witze. Rad ist wahrscheinlich weg, aber er würde uns sowieso nicht auf die Nerven fallen. Auntie Mim ist taub, deshalb wirst du nicht mit ihr reden können; sie ist meist oben in ihrem Zimmer. Mum ist eigentlich die Einzige, die wichtig ist - und sie ist völlig normal, also ist es okay.«
    Vater fuhr mich am Samstagnachmittag zum zweiten Mal zu dem Haus in der Balmoral Road. Er hatte mich angewiesen, ihn anzurufen, wenn er mich abholen sollte, und hatte mir zehn Pence gegeben, mit denen ich den Anruf bezahlen sollte.
    »Warte nicht«, sagte ich unhöflich, als ich die Autotür zuknallte, und dann stand ich auf der Eingangsstufe und versuchte, ihn mit Gesten zu verscheuchen, bis er endlich den Wink verstand und das Auto im Schneckentempo davonkroch, bis mir die Haustür geöffnet wurde.
    »Hallo, komm rein, RUNTER, GROWTH.« Frances wandte sich dem braunweißen Jack-Russell-Terrier zu, der kläffend um ihre Knöchel herumtanzte und mit gefletschten Zähnen an mir hochsprang. Ich behielt die Hände in den Taschen. An der linken Seite hatte er einen Knoten in der Größe eines Golfballs. »Er hat heute grässliche Laune. Ich glaube, er kriegt ein Blumenkohlohr.«
    Der Korridor, in dem wir standen, war lang und schmal, mit schwarzweiß gefliestem Boden und einer Treppe ohne Teppich, die zu einem Absatz und dann zu noch mehr Treppen hinaufführte. Die Wände waren nackt, und stellenweise zeigten sich unter der abblätternden Tapete kleine Tapetenflecken wie Corn-Flakes.
    »Seid ihr grade beim Tapezieren?«, fragte ich.
    Frances, die Growth mit einem Hundekuchen zum Schweigen brachte, sah ratlos aus. »Nein. Wieso?«
    »Ach nichts«, sagte ich errötend, als sie mich mit den Worten: »Das ist meine Mum!« ins Wohnzimmer führte.
    Meine Röte hatte nicht einmal genügend Zeit gehabt, sich zu verflüchtigen, als sie schon wieder aufloderte. Frances‘ Mutter befand sich, umgeben von Stapeln ordentlich zusammengelegter Wäsche, in der Mitte des Raumes beim Bügeln. Hemden und Blusen hingen über Stuhlrücken und an Kleiderbügeln, die am Kaminsims festgehakt waren. Fenster und Spiegel waren vom Dampf beschlagen. Ein Haufen Socken, zu kleinen Kugeln zusammengerollt, lagen wie Pferdeäpfel auf dem Teppich. Abgesehen von einem winzig kleinen, schwarzen Spitzenschlüpfer war die »völlig normale« Mrs. Radley nackt. Dies war meine erste echte Begegnung mit nackten Brüsten, und ich schreckte zurück wie vor grellem Scheinwerferlicht.
    »Ach Mum, du hättest dir wirklich was anziehen können«, protestierte Frances. »Ich hab dir doch gesagt, Abigail kommt jede Minute.«
    »Unsinn - wir sind

Weitere Kostenlose Bücher