Seejungfrauen kuesst man nicht
Aber sie war nicht zum Schweigen zu bringen.
»Leg es nicht nahe an die Heizung oder so, sonst schmilzt es.«
»Ach, Frances, jetzt hast du es verraten.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Du hast gesagt, es schmilzt - es ist ziemlich offensichtlich, dass es Schokolade ist.«
»Nein, ist es nicht. In Wirklichkeit ...«
»Nein, sag es mir nicht.«
»... ist es eine Kerze.«
»Ach, Francesl«
Dieser Wortwechsel wurde von Mutter unterbrochen, die zwei Tassen Tee und ein paar selbst gebackene Kekse hereinbrachte - Peanut Brittie , an dem man sich die Zähne ausbeißen konnte, und ganz leicht gesalzenes Shortbread. Frances putzte den ganzen Teller leer. »Oh, klasse«, sagte sie. »So was kriegen wir zu Hause nie.« Den Mund voll Nuss- und Toffeestückchen, brachte sie mich, was die Vorstellungen von Der Mikado betraf, auf den neuesten Stand.
»Der erste Abend war wirklich gut, obwohl das Publikum ein bisschen fad war, und deshalb wünschten sich am nächsten Tag alle, die nicht da gewesen waren, dort gewesen zu sein. Und gestern Abend gab es ein bisschen Wirbel, weil Yum Yum ihren Text vergessen hatte und nur da stand und darauf wartete, dass er ihr vorgesagt würde, was aber nicht geschah, weil die Souffleuse gerade in den Kulissen Ko-Ko anmachte. Das Publikum begann schon unruhig zu werden, deshalb hat Pitti Sing ihr den Satz schließlich zugezischt und Yum Yum sagte: »Was?« und das Publikum kringelte sich vor Lachen. Deshalb spricht jetzt kein Mädchen aus der 12. und 13. Klasse mehr mit der Souffleuse - sie ist sowieso eine Aussätzige, weil sie erst in der 11. ist. Ich glaube nicht, dass es ihnen was ausmacht, dass Yum Yum wegen ihr blöd dagestanden hat, sie sind bloß eifersüchtig, weil Ko-Ko sie toll findet.«
»Haben deine Eltern es schon gesehen?«
»Mum und Rad sind am ersten Abend da gewesen. Dad hatte Frühschicht, deshalb konnte er nicht, aber er kommt vielleicht heute Abend. Aber es hat mich wirklich irritiert, sie im Publikum zu haben. Ich wusste genau, wo sie saßen, denn sie kamen zu spät, und die ganze Reihe musste aufstehen, und Mum lacht immer so laut, und ich habe sie immer an wirklich seltsamen Stellen gehört, die gar nicht komisch sein sollten.«
»Wie hat es ihnen gefallen?«
»Ziemlich gut. Sogar Rad, dabei hat er sehr hohe Ansprüche.«
Mutter steckte den Kopf durch die Tür. »Ahm, Abigail, kann ich dich kurz sprechen?«, sagte sie betont beiläufig. Verwundert folgte ich ihr aus dem Zimmer und ließ Frances, die mit einem nassen Finger die Krümel vom Keksteller pickte, auf meinem Bett sitzen. Im Flur flüsterte Mutter: »Bleibt sie zum Abendessen hier? Wenn ja, muss ich nämlich mehr Reis kochen.«
»Ich glaube nicht«, sagte ich.
»Nein, ich kann nicht zum Essen bleiben, danke«, kam Frances‘ Stimme aus meinem Zimmer. »Ich muss nach Hause und etwas für Rad kochen.«
»Oh«, sagte Mutter total verlegen. »Wie kommst du denn nach Hause, meine Liebe?«, fragte sie schließlich und wagte es, Frances direkt anzusprechen.
»Ich nehme an, mit dem Bus.«
»Aber es ist doch dunkel draußen. Abigails Vater wird dich nach Hause fahren. Ste-phen!«
»Keine Sorge, ich komme schon zurecht.«
»Ja, sie kommt schon zurecht«, stimmte ich zu. Die Aussicht, Frances auf meinen Vater loszulassen, den sie ganz bestimmt mit »Chef« anreden würde, machte mich etwas nervös.
Mutter warf mir einen verärgerten Blick zu, bevor sie wieder nach unten ging, um ihn aufzuspüren.
»Außergewöhnliches Mädchen«, hörte ich ihn zu Mutter sagen, als er etwa eine halbe Stunde später zurückkehrte. »Ich mag sie ziemlich gern. Hörte nicht auf zu reden. Sie sagte dauernd: ›Lassen Sie mich einfach am Ende der Straße raus‹, aber ich habe sie natürlich vor die Haustür gefahren, und als ich sagte, ich würde warten, um sicherzugehen, dass jemand da wäre, sagte sie: ›Oh, es ist sicher niemand da‹ und bot an, mir ein Spiegeleisandwich zu machen.«
»Gütiger Himmel. Glaubst du, sie hat Zigeunerblut?«
Ich erstickte mein Gelächter im Kissen.
Als wir uns verabschiedeten, hatte Frances mich gefragt, was ich Weihnachten vorhätte. »Nicht viel«, sagte ich. »Am ersten Weihnachtstag sind wir nur zu dritt, vielleicht noch meine Granny.« Es gelang mir nicht, ein leises Stöhnen zu unterdrücken. »Und am zweiten Weihnachtstag gehen wir normalerweise immer zu unseren Nachbarn, um etwas zu trinken und Erdnüsse zu essen. Sie haben keine Kinder, aber ein paar tropische Fische, deshalb ist es
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