Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
Erwartung, mit der sie auf das Erscheinen einer Robbe lauerte, half ihr dabei wachzubleiben, selbst wenn sie allmählich das Gefühl hatte, dass die ganze Nacht dabei verging.
Plötzlich tauchte aus dem Wasser der glatte, nasse Kopf einer Robbe auf. Kallik stürzte sich auf sie, die Krallen ausgestreckt und bereit, sich in das Fleisch zu bohren, das Maul aufgerissen, um den Nacken zu packen.
Aber ihre Tatzen bekamen nichts zu fassen und ihre Zähne schnappten ins Leere. Sie war zu langsam gewesen. Die Robbe war entkommen.
Kallik sank zu Boden und drückte ihr Gesicht aufs Eis. Vielleicht sollte sie aufgeben? Sie brauchte sich nur den Eisgeistern zu überlassen, dann konnte sie wieder mit ihrer Mutter zusammensein. Aber auch Taqqiq war ganz allein. Sie musste am Leben bleiben, um ihn zu finden, dann konnten sie gemeinsam füreinander sorgen.
Kallik raffte sich auf und ging auf ihrer eigenen Spur in die Richtung, aus der sie gekommen war. Sie schwamm zurück zu der großen Eisscholle und bewegte sich, während sie nach Spuren des anderen Bären Ausschau hielt, vorsichtig vorwärts. Die Nacht war still und das Knirschen ihrer Tatzen auf dem Eis erschien ihr gespenstisch laut. Doch sie hatte Glück, der andere Bär war weitergezogen.
Sie fand den Robbenkadaver und prüfte schnüffelnd, ob er irgendwelche verwertbaren Reste übrig gelassen hatte. Viel war es nicht, aber sie war bereit, sich damit zu begnügen, auch wenn sie natürlich die besonders leckeren Teile der Fettschicht oder der Haut vorgezogen hätte. Beim Kauen lief ihr das Wasser im Maul zusammen, und die wenigen Bissen, die sie sich sichern konnte, dämpften immerhin den schlimmsten Hunger.
Sie wollte nicht riskieren, dem anderen Eisbären erneut zu begegnen, daher entfernte sie sich rasch von dem Kadaver, sobald sie den letzten Fleischfetzen abgenagt hatte. Ihrer Nase folgend und stets auf der Hut vor allen Gerüchen, die die Nähe anderer Bären anzeigen mochten, eilte sie weiter Richtung Festland. Erst als der Mond hoch am Himmel stand, legte sie eine Rast ein, um ein wenig zu schlafen.
Als Kallik am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah sie vor sich am Rand des Himmels etwas Neues. Es war ein verwischter grauer Streifen, wie eine mit den Krallen gezogene Spur im Schnee. Sie setzte sich auf und kratzte sich verwundert am Ohr. Ein bisschen sah es aus wie heranziehende Sturmwolken, aber es bewegte sich nicht. Land!
Sie schnupperte. Die unvertrauten Gerüche waren stärker denn je. Die Luft fühlte sich nass und weich an, auf dem Eis stand das geschmolzene Wasser und tropfte an den Rändern ins Meer. Kallik erhob sich und ging auf den grauen Streifen zu, die Nase immer in der Luft, um möglichst viele der neuen Düfte aufnehmen zu können. Einige davon stammten offenbar von unbekannten Tieren. Sie witterte Fell mit Moschusnoten und flatternde Federn, Hunger, Gefahr und Furcht, Raubtiere ebenso wie Beutetiere. Und es gab auch noch andere Gerüche, würzig und frisch auf eine Art, wie sie ihr noch nie in die Nase gekommen waren.
Sie musste dreimal schwimmen, bevor sie einen klareren Blick auf das vor ihr liegende Festland bekam. Es sah grau, hart und rau aus, wie scharfe Gletscherkanten, nur dunkler. Vögel kreisten über ihr, mehr Vögel, als sie in ihrem Leben je gesehen hatte – fast so viele Vögel, wie es Sterne am Himmel gab. Sie schlugen kreischend mit den Flügeln, tauchten im Sturzflug nach Fischen und saßen auf den Felsen, um sich zu putzen.
Kallik fröstelte es. Was würde sie an Land zu fressen finden? Es gab dort keine Robben. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie keine Chance hatte, jemals einen dieser Vögel zu fangen. Wie sollte sie ohne Nisas Hilfe überhaupt wissen, was sie fressen konnte? Sie erinnerte sich, dass Nisa von Gras und Beeren erzählt hatte, aber sie konnte nirgends irgendwelche »grünen Haare« entdecken, die aus dem Boden wuchsen. Würde sie sie denn erkennen, wenn sie sie sah?
Sie ging weiter, beobachtete, wie die Felsen größer wurden, je näher sie kam. Schließlich erreichte sie einen Punkt, wo das Eis zu Ende war – von hier bis zum Land gab es nur noch Wasser. Das war er … der Ort, zu dem ihre Mutter sie hatte führen wollen. Dass Kallik hier allein eintraf, war nicht geplant gewesen.
Kallik tauchte ins Wasser und paddelte mit aller Kraft. Die Wellen packten sie und schoben sie vorwärts, dann aber saugten sie sie wieder zurück. Sie waren stärker als alles andere, sogar als die Tatzen ihrer
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