Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
Bruders lag zusammengerollt zwischen ihren Tatzen, schlaff und reglos. Toklo legte sich neben seine Mutter auf den Bauch und kroch langsam näher, bis sein Fell sie berührte. Sie bewegte sich nicht, daher stützte er die Schnauze auf seine Tatzen, schloss die Augen und sank in einen unruhigen Schlaf.
Durch eine plötzliche Bewegung Okas wachgerüttelt, setzte Toklo sich auf und bemerkte, dass die Sonne aufzugehen begann. Oka stand neben Tobi und beugte den Kopf hinunter, um noch einmal an ihm zu schnuppern. »Es ist Zeit zu gehen«, sagte sie dann.
Große Erleichterung erfasste Toklo. Er musste also doch nicht sterben wie sein Bruder. »Zum Fluss?«, fragte er.
»Zuerst aber ist noch ein Erdritual durchzuführen«, fuhr Oka fort, als hätte sie ihn gar nicht gehört. Sie drehte sich um und sah das Moos, das Toklo am Abend zuvor mitgebracht hatte.
»Ja«, murmelte sie. »Genau so was brauchen wir.« Sie hob das Moos auf und legte es sanft auf Tobis Fell. Dann trat sie mit gemessenen, schweren Schritten aus dem Unterschlupf. Toklo ging hinterher, verwirrt, aber ohne ein Wort zu sagen, aus Angst, zurechtgewiesen zu werden.
Oka wühlte im Schnee und brachte Zweige und lose Erdbrocken zum Vorschein. Sie raffte einen Haufen alter Blätter zusammen, trug sie zum Unterschlupf und legte auch sie auf Tobis toten Körper.
Toklo wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, hoffte aber, dass sie schneller würden aufbrechen können, wenn er sich nützlich machte. Ihrem Vorbild folgend, sammelte er Erde und Zweige zusammen und schleppte sie zum Unterschlupf zurück, wo er ihr half, Tobis Körper zu bedecken, bis er nicht mehr zu sehen war.
Oka hob den Kopf und sprach mit ihrer tiefen Brummstimme, die von der Rückwand der kleinen Höhle widerhallte. »Geister und Seelen der Erde, ich übergebe dieses unschuldige Junge, das wir Tobi nannten, eurer Obhut. Nehmt ihn auf und beschützt ihn. Geleitet ihn über alles unwegsame Gelände hinweg zu dem Gewässer, das tief in euch lebt, und lasst ihn sich zu den anderen Bärenseelen gesellen in dem Fluss, der ewig fließt.«
Sie machte eine Pause, und Toklo überlegte, ob auch er etwas sagen sollte. Oka zog ihre Krallen durch die Erde, erst in die eine, dann in die andere Richtung, sodass eine Markierung neben dem toten Jungtier entstand. Dann drehte sie sich ohne ein weiteres Wort um, verließ den Unterschlupf und wandte sich dem offenen Berghang zu.
Toklo zögerte einen Moment. Dann drückte er seine Nase in den kleinen Hügel aus Erde, Zweigen und Laub. »Tobi«, flüsterte er, »wir wandern jetzt zum Fluss. Ich weiß, dass du auch dort hinmusst, also folge mir, okay? Ich bringe dich zum Fluss.«
Toklo trat zurück und schüttelte den Kopf, um die Blätter loszuwerden, die an seinem Fell klebten. Dann eilte er seiner Mutter nach, die ein rasches Tempo bergabwärts einschlug. Sie sprach nicht mit ihm und so blieb auch er stumm, eingeschüchtert von der Spannung in ihren Schultern und ihrem abwesenden Blick.
Als die Zeit des Sonnenhochstands fast erreicht war, glaubte Toklo etwas zu hören, nur ganz schwach. Es war ein schnelles, rauschendes, frohes Geräusch, sprudelnd und lebendig, wie Regen, der durchs Tal prasselt.
»Ist das der Fluss?«, platzte es aus ihm heraus. »Sind wir gleich da? Werden wir jetzt Lachse fangen? Ich kann’s nicht erwarten! Ich werde so viele Lachse fangen, Mutter, pass nur auf!«
Sie hatten den Schnee hinter sich gelassen und bewegten sich zwischen mächtigen Fichten hindurch und über Lichtungen, auf denen zahllose Wildblumen blühten. Vor ihnen konnte Toklo den Fluss im blassen Sonnenlicht glitzern sehen – ein breites, flaches und schnell strömendes Gewässer mit kieseligen Uferstreifen zu beiden Seiten. Er rannte los und wäre beinahe auf den Fichtennadeln ausgerutscht, die den steilen Abhang bedeckten.
Und plötzlich sah Toklo Bären.
Bären, die im Fluss standen und ins Wasser starrten. Bären, die im Wasser lagen, sich auf dem Rücken wälzten und mit allen Tatzen spritzten. Bären, die am Ufer entlangliefen oder durchs seichte Wasser hüpften.
Toklo hatte noch nie so viele Bären auf einmal gesehen. Sie sahen alle so groß aus! Die meisten waren größer als Oka und allesamt waren sie viel, viel größer als Toklo. Am Rand der Bäume blieb er stehen und wartete, bis seine Mutter zu ihm aufgeschlossen hatte. Gemeinsam traten sie aus dem kühlen Schatten der Fichten hinaus in die Sonne und ans langgezogene, über und über mit
Weitere Kostenlose Bücher