Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
den Kopf wieder auf die Pfoten. »Hier geht’s dir besser«, sagte sie. »Hier ist es sicher, hier gibt es genug zu fressen, und hier hast du eine Mutter, die sich um dich kümmert. Du wirst nie erfahren, wie es ist, in der Wildnis zu leben.«
»Aber ich weiß es doch«, protestierte Lusa. Die Bilder aus ihren Träumen traten ihr vor Augen: zahllose dunkle Bäume, Sonnenschimmer zwischen den Zweigen, Regen, der auf dichtes Laub prasselte. Dort gehörte sie hin, oder etwa nicht?
»Du wirst es nie erfahren, weil du hier eingesperrt bist. Während Toklo dort draußen allein unterwegs ist, hilflos und vielleicht dem Verhungern nahe. Ich habe versucht, ihn zu finden, wirklich wahr. Aber was nützt es? Seine Seele ist wahrscheinlich schon lange in den Großen Lachsfluss eingegangen. Er wird nie erfahren, dass es mir leid tut. Dass ich ihn genauso geliebt habe wie Tobi.«
Lusa konnte die Verzweiflung in Okas Stimme nicht ertragen. Es war nicht gerecht, sie in den Langschlaf zu schicken und ihr damit die Möglichkeit zu rauben, ihrem letzten überlebenden Jungen zu helfen. Und Toklo wusste nicht einmal, dass sie ihn liebte.
»Oka!«, rief sie, sprang auf und presste die Schnauze an den Zaun. »Oka, hör zu. Ich werde in die Wildnis gehen. Ich suche Toklo und finde heraus, wie es ihm geht. Und ich sage ihm, dass du ihn geliebt hast. Du kannst zum Großen Lachsfluss gehen und bei Tobi sein. Ich kümmere mich um Toklo.«
Die große Braunbärin sah Lusa in die Augen. Einen Moment lang hielten sie stumme Zwiesprache. Worte waren überflüssig. Lusa nickte einfach nur.
Ich werde Toklo für dich finden. Versprochen.
18. KAPITEL
Toklo
Eine mächtige Tatze rüttelte Toklo wach. Blinzelnd rieb er sich die Augen. Im ersten Moment dachte er, seine Mutter würde ihn wecken, doch dann fiel ihm ein, dass sie ihn ja verlassen hatte. Er blickte auf und bekam einen fürchterlichen Schreck.
Es war der ausgewachsene Bär vom Tag zuvor, dessen Beute er gestohlen hatte. Er hatte eine tiefe Narbe, die sich über die Schnauze zog, und seine Augen blickten unfreundlich.
»Was machst du hier?«, fauchte er.
»Ich … ich …«, stammelte Toklo.
»Wo kommst du her?« Der Bär deutete mit dem Kopf zu den Bäumen, wo der Beutevorrat vergraben war. »Bist du da durchgekommen?«
»Nein!«, log Toklo. »Ich bin von dem Berg dort drüben gekommen. In dem Wald war ich nicht.«
»Ist auch besser so«, knurrte der Bär. »Das hier ist mein Revier.« Er erhob sich auf die Hinterbeine. »Siehst du die Markierungen an diesem Baum?« Er zeigte auf eine Reihe von tiefen Kratzspuren in der Rinde. »Das bedeutet, dass diese Gegend hier mir gehört.«
»Ist gut«, beeilte sich Toklo zu sagen. »Das wusste ich nicht. Ich werde mich fernhalten.«
»Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist.« Der Bär ließ sich auf alle viere zurückfallen. »Hier hast du nichts zu suchen, genauso wenig wie alle anderen Bären.«
Knurrend stapfte er davon. Toklo zog sich zurück auf die Wiese, wobei er den Grizzly sorgsam im Auge behielt, bis dieser zwischen den Bäumen verschwunden war.
Die Sonne stieg höher und heizte die Erde unter Toklos Tatzen auf. Man spürte förmlich, dass die Zeit des Fischsprungs gekommen war. Toklo wanderte weiter den Berg hinauf, der Schneelinie entgegen. Unterwegs grub er immer wieder Blumenknollen aus und fraß sie. Der Geschmack war nicht mit dem von Eichhörnchen oder Hasen zu vergleichen, aber ihr Verzehr trug immerhin dazu bei, dass seine Beine schnell und kräftig blieben. Das war auch nötig, falls er auf andere hungrige Bären stieß, die vermutlich wenig gewillt waren, ihre Jagdgründe mit ihm zu teilen.
Überall nahm er den Geruch von Beute wahr, kleine Tiere, die genau wie er vom frischen Wachstum der Pflanzenwelt aufgescheucht wurden. Gegen Abend stieß er auf einen Bau, der sehr vielversprechend roch. Er verharrte am Eingang und lauschte. Aus dem Innern hörte er ein gedämpftes Scharren und der Geruch von saftiger Beute ließ seinen Magen knurren. Da drin war ein Kaninchen! Vor Eifer keuchend stieß er seine Klauen in das Loch, aber das Kaninchen ergriff die Flucht, und er konnte nur noch seine Füße trommeln hören, als es über den weichen Boden davonraste.
Toklos Magen veranstaltete ein wahres Donnergrollen, als er nachts einzuschlafen versuchte, und später träumte er davon, seine Zähne in Kaninchenfleisch zu schlagen.
Drei Sonnenaufgänge später hatte Toklo es fast bis zum Berggipfel geschafft. Er hielt sich
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