Seekers - Feuer im Himmel - Band 5
um Lusa? Kallik musste an ihren Bruder Taqqiq denken. Sie vertraute darauf, dass er seine Freunde wiedergefunden und sie es zurück zum Gefrorenen Meer geschafft hatten.
Statt sich im Sonnenlicht aufzulösen, wurde der rötliche Dunst immer dicker. Die beiden Bären stolperten durch den Nebel, und der bittere Geruch hing Kallik in der Nase, bis sie nichts anderes mehr riechen konnte. Sie war benommen, als wären alle ihre Sinne betäubt. Es war unmöglich, sich zu orientieren. Sie wusste nicht, wo das nächste Robbenloch war oder das offene Wasser. Kallik blieb stehen und stupste Ujurak mit der Nase an.
»Müssen wir wirklich hier lang?«, knurrte sie. »Es riecht, als würde es da vorne noch schlimmer werden.«
»Müssen wir. Das ist der Weg, den meine Mutter mir gewiesen hat«, erwiderte Ujurak. »Was ist das nur für ein Dunst?«
»Ich habe keine Ahnung. Normal ist das jedenfalls nicht. Äh …« Kallik zögerte, weil sie nicht recht wusste, wie Ujurak auf ihren Vorschlag reagieren würde. »Vielleicht könntest du dich in einen Vogel verwandeln und über den Nebel fliegen? Dann könntest du sehen, was da los ist und wie weit das noch so geht …« Sie brach ab.
Ujurak schüttelte bereits den Kopf. »Nein. Ich weiß es jetzt genau: Meine Mutter ist ein Braunbär und ich auch. Deshalb bleibe ich auch einer. Mutter wird sich um uns kümmern.«
Kallik seufzte. »Aber es muss doch einen Grund dafür geben, dass du dich in andere Tiere verwandeln kannst, glaubst du nicht? Es würde uns wirklich helfen. Nur dieses eine Mal?«
»Nein.« Ujurak blieb hart.
Kallik rieb sich die Augen und betrachtete den Schnee unter ihren Tatzen. Er war nicht weiß und sauber wie sonst, sondern hatte eine rötlich braune Farbe, genau wie der Nebel. »Sind die Geister wohl wütend auf uns, weil wir Lusa und Toklo verlassen haben?«
»Wir haben sie nicht verlassen«, wies Ujurak sie zurecht. »Sie haben uns verlassen. Wir sind auf dem richtigen Weg.«
Stur marschierte er weiter durch den merkwürdig gefärbten Schnee. Kallik blickte in die dicken Nebelschwaden, die bedrückend dicht über ihnen hingen. Wenn sie sich in einen Vogel verwandeln und wegfliegen könnte, würde sie es sofort tun. Warum weigerte sich Ujurak nur so beharrlich, seine Kräfte einzusetzen? Kallik fragte sich, was unter dem Eis geschehen war, als er sich in einen Belugawal verwandelt hatte. Was immer es gewesen war – er wollte nie wieder eine andere Gestalt annehmen. War es einfach zu viel für ihn, die Leiden aller Lebewesen zu teilen? Mitleid erfasste Kallik. Vielleicht wollte sie sich doch nicht in einen Vogel verwandeln. Ein Eisbär zu sein war für sie genau das Richtige.
Sie trotteten weiter. Kallik wusste nicht, ob die Dämmerung schon eingesetzt hatte, denn sie hatte den ganzen Tag noch keine Sonne gesehen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch in die richtige Richtung gingen. Sie hatte das schreckliche Gefühl, dass sie im Kreis liefen.
»Ujurak!«, rief sie. Der kleine Braunbär blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Ich glaube, wir warten besser, bis sich der Nebel verzieht«, sagte sie. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir an dem großen Eisbrocken da drüben schon mindestens drei Mal vorbeigekommen sind.«
Ujurak betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Eissäule, auf die sie zeigte. »Aber alle Eisbrocken sehen so aus.«
»Tun Sie nicht«, widersprach Kallik verärgert. »Der da hat drei Stummel, die herausstehen wie Äste aus einem Baum, und außerdem eine Art Knoten am unteren Teil, wie eine Wurzel, und oben hat er ein Loch, in das der Wind hineinpfeift; das klingt wie ›witwit‹. Ich wette, du würdest keinen zweiten Eisbrocken finden, der so aussieht.«
Ujurak war offenbar beeindruckt. »Na gut, du hast gewonnen«, sagte er freundlicher. »Wir können warten. Bestimmt verzieht sich der Nebel bald.«
Kallik wünschte, sie könnte sich da genauso sicher sein wie er. Sie führte Ujurak zu einer Schneewehe in der Nähe des baumförmigen Eisbrockens. Da Kallik den rötlichen Schnee nicht gern auf ihrem Pelz haben wollte, schaufelte sie etwas davon beiseite, um nachzusehen, ob sich darunter sauberer Schnee verbarg.
Da plötzlich erhob sich die Schneewehe und baute sich vor ihr auf. Kallik und Ujurak sprangen mit einem erschrockenen Schrei zurück.
Es war eine Eisbärin! Der dichte Nebel hatte ihren Geruch überdeckt, und weil sie halb vergraben dagelegen hatte, hatten sie sie auch nicht gesehen. Über
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