Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
überzeugt war von ihrer Vermutung, dass die Eisbären vom Robbenfleisch krank wurden.
Zusammen trotteten Lusa und Kallik die Küste entlang und um den Fuß eines Hügels herum. In diese Gegend waren sie bisher noch gar nicht vorgedrungen, daher kribbelten Lusas Tatzen vor Neugier darauf, was sie jenseits der schneebedeckten Hänge erwarten mochte.
Es war gut, allein mit Kallik unterwegs zu sein, ohne einen Streit um Kissimi zu riskieren. Kallik wirkte jetzt wieder viel freundlicher und entspannter, so wie früher, bevor sie das Junge gefunden und an sich genommen hatte.
Als sie die Einbuchtung auf der anderen Seite erreichten, blieb Kallik, die ein paar Schritte voraus war, plötzlich stehen. »Krallenlose!«, zischte sie.
»Hier?« Lusa schob sich näher heran. »Ich hätte nicht gedacht, dass es auf dieser Insel Krallenlose gibt.«
»Krallenlose gibt es überall«, antwortete Kallik düster.
Über einen Felsblock hinweg spähend, erblickte Lusa eine kleine Flachgesichtersiedlung auf einer Klippe oberhalb des Strandes. Die Höhlen hatten flache Dächer, waren klein und eckig, aus weißen Steinen gebaut. Zwischen ihnen standen hohe, aus irgendeinem glänzenden Zeug gemachte Stöcke und eine Menge von grünen Feuerbiestern. Flachgesichter liefen zwischen den Höhlen hin und her.
»Warum sind alle Krallenlosen gleich gekleidet?«, wunderte sich Kallik. »Ihre Pelze sind alle grün, wie Blätter.«
»Vielleicht sind sie aus Blättern gemacht?«, überlegte Lusa.
»Wo sollten die Blätter herkommen?« Kallik deutete auf die kahle Landschaft, in der außer ein paar dürren, sich mühsam aus dem Schnee herauswindenden Dornbüschen nichts wuchs.
Die beiden Bären bogen landeinwärts ab, um die Höhlensiedlung zu umgehen, und kehrten dann auf der anderen Seite zur Küste zurück.
Lusa deutete mit der Nase voraus. »Sieh mal! Eisbären!«
Eine ganze Gruppe von Eisbären hatte sich an der Küste, in der Nähe der Höhlensiedlung, versammelt. Einige von ihnen versuchten offenbar, an eine Reihe jener Behälter heranzukommen, in die die Flachgesichter ihr Faulfutter steckten. Lusa hatte den Eindruck, dass unter den Bären ein Streit im Gange war. Offenbar wollten die einen die anderen davon abhalten, sich den Behältern zu nähern.
Lusa erkannte einen der Bären, der sich vor seinen Kameraden aufgebaut hatte. Sein Fell hatte eine rötliche Färbung, als würde die Sonne gerade hinter ihm aufgehen.
Auch Kallik erkannte ihn wieder. »Das ist der Bär, der uns beobachtet hat, als wir auf die Insel gekommen sind«, sagte sie leise.
Vorsichtig näherten Lusa und Kallik sich den Eisbären. »Da ist Illa«, zischte Lusa. Sie hielt auch nach Aga Ausschau, doch die Alte war nirgends zu sehen.
Die junge Bärin redete auf zwei Männchen ein, die zu den Behältern drängten. »Ich weiß, dass ihr Hunger habt, Tunerq«, sagte sie. »Wir haben alle Hunger. Aber wir sind Bären. Wir sollten keine Nahrung von den Krallenlosen fressen.«
»Die wollen sie ja nicht«, erwiderte der Kleinere von beiden mürrisch. »Und sie riecht echt lecker.«
»Darum geht’s nicht. Wir –«
»Hör auf, uns vorzuschreiben, was wir tun sollen«, unterbrach das größere Männchen sie. »Ich will was zu fressen und ich werde es mir holen.«
»Bist du wirklich so dumm, Unalaq?« Illa ließ nicht locker. »Wir sollten Robben jagen. Das ist es, was Eisbären tun.«
»Ich werde mit ihnen reden.« Lusa holte tief Luft und marschierte dann auf die Eisbären zu, ohne noch recht zu wissen, was sie ihnen sagen wollte.
»Sei vorsichtig!«, rief Kallik ihr nach.
Lusa drehte sich um. »Aga hat gesagt, wir seien willkommen«, rief sie ihrer Freundin in Erinnerung.
»Na ja … gut.« Wachsam und zögerlich folgte Kallik mit einigem Abstand.
Lusas selbstbewusstes Auftreten verlor etwas an Schwung, als sie sich den Eisbären näherte. Oje, bin ich wirklich mutig genug? Die sind doch größer als ich dachte.
Zuerst war es ein einzelner Bär, der sie erblickte, dann ein zweiter, und bald starrte ihr die ganze Gruppe erstaunt entgegen.
»Ich hab’s dir doch erzählt!«, hörte Lusa Illa sagen.
»Du hast aber nicht erwähnt, dass sie die Größe eines Hasen hat«, erwiderte Tunerq.
Gar nicht wahr, ich bin größer!
Die Empörung verlieh Lusa neuen Mut. Immerhin starrten die Bären sie nur an. Keiner von ihnen machte Anstalten, sich auf sie zu stürzen.
Sie trat vor die Eisbären und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihnen in die Augen zu sehen.
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