Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
»Ihr dürft keine Robben mehr fressen«, erklärte sie, um eine feste und selbstsichere Stimme bemüht. »Es liegt an den Robben, dass ihr krank werdet.«
Tunerq wirkte erfreut. »Du meinst, wir sollten lieber das fressen, was wir bei den Krallenlosen finden?« Er hoffte offensichtlich, dass Lusa auf seiner Seite war.
Lusa warf einen Blick auf die Behälter, dann wandte sie sich den Bären wieder zu. Sie wusste, wie wohlschmeckend Flachgesichternahrung sein konnte. Sie selbst hatte in den ersten Tagen nach ihrer Flucht aus dem Bärengehege davon leben müssen. Aber es ist Nahrung für Flachgesichter, nicht für Bären …
»Nein«, antwortete sie. »Wenn ihr das tut, würdet ihr vielleicht das Jagen verlernen und vergessen, was es heißt, wild zu sein. Ihr müsst etwas anderes zu fressen finden.«
»Lusa …« Aus Kalliks Stimme, die direkt hinter ihr ertönte, sprach bange Vorahnung.
Die Eisbären steckten die Köpfe zusammen, redeten aufeinander ein und warfen immer wieder Blicke in Lusas Richtung. Einen von ihnen hörte sie sagen: »Es ist Tungulria …«
Lusa zuckte zusammen, als sie den Namen wieder hörte, den sie schon von Aga kannte. Sie erinnerte sich an den seltsamen Blick, mit dem die alte Bärin sie gemustert hatte.
Dann trat Unalaq, das groß gewachsene Männchen, nach vorn. Seine Augen funkelten vor Feindseligkeit. Lusa zwang sich, seinem Blick standzuhalten, obwohl er so riesig war, dass er beinahe ihr gesamtes Sichtfeld ausfüllte.
»Du lügst«, knurrte Unalaq. »Ihr wollt nur die ganze Nahrung für euch allein haben. Alle Robben und auch das, was in den Behältern ist.«
»Genau!« Tunerq stellte sich neben Unalaq. »Aber ihr kriegt gar nichts.«
Die meisten der anderen Bären traten hinzu, brummten zustimmend und nahmen eine bedrohliche Haltung ein. Nur Illa und der Bär mit dem rötlichen Fell hielten sich zurück und schienen unschlüssig.
»Das ist nicht wahr, das will ich überhaupt nicht!«, protestierte Lusa. »Ich möchte euch gern helfen, wenn ihr mir nur zuhören würdet. Die Robben –«
Kallik stupste Lusa mit der Nase in die Seite. »Äh … ich glaube, wir sollten lieber gehen.«
Im selben Moment stieß Unalaq ein wildes Brüllen aus und machte Anstalten, sich auf sie zu stürzen. Lusa und Kallik wirbelten herum und traten die Flucht an. Lusa hörte die trommelnden Schritte der Eisbären hinter sich und glaubte fast auch, ihren warmen Atem auf ihrem Fell zu spüren.
Sie rannten an der Höhlensiedlung vorbei hinunter zur Küste, wo sie über einen steinigen Strand stürmten, der jedoch an einer scharfkantigen Felsnase endete.
»Da kommen wir nicht rüber!«, keuchte Lusa.
»Uns bleibt gar nichts anderes übrig!«, erwiderte Kallik grimmig.
Kallik half Lusa, über das spitze Gestein zu klettern. Oben angelangt, blickte Lusa sich um und sah die Eisbären herangejagt kommen, Unalaq an der Spitze.
Sie zog sich hoch, über die obersten Steine hinweg. Dann purzelte sie mehr oder weniger auf den schneebedeckten Strand einer auf der anderen Seite gelegenen Bucht. Einen Augenblick später landete Kallik neben ihr. Schwer atmend hockten sie hinter der Felsnase und warteten.
Von der anderen Seite hörten sie das ärgerliche Knurren und Brummen der Eisbären. Kurz darauf erhob sich Unalaqs Stimme über die der anderen. »Bleibt von unserem Revier weg! Das hier sind unsere Robben. Wir werden ganz genau aufpassen, dass ihr uns keine wegfresst!«
Lusa und Kallik blieben stumm und rührten sich nicht. Eine Zeit lang waren noch Schritte und Schnuppergeräusche von der anderen Seite zu hören, doch dann wurde es still.
»Sie sind weg!«, schnaufte Kallik erleichtert.
Jetzt, wo die Gefahr vorbei war, fand Lusa Gelegenheit, sich umzusehen. Die Bucht, klein und geschützt gelegen zwischen hoch aufragenden Klippen, vermittelte fast Geborgenheit. Draußen auf dem Meereis konnte sie dunkle Flecken ausmachen, offensichtlich die Atemlöcher von Robben. Die Eisbären hatten hier wirklich ausgezeichnete Jagdmöglichkeiten.
»Warum hat Unalaq gesagt, das hier sei ihr Jagdgebiet?«, fragte Kallik. »Eisbären haben eigentlich keine Reviere, so wie die Braunbären. Und sie leben auch nicht in Gruppen zusammen. Diese Eisbären sind wirklich sonderbar.«
»Ich nehme an, sie sind alle hier versammelt, weil es viele Robben gibt«, erwiderte Lusa.
Inzwischen bemerkte sie, dass ein strenger Geruch in der Luft hing, so als hätten Feuerbiester ihren Rauch überallhin verströmt. Und in diesem
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