Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
»Du bist mal wieder viel zu hitzköpfig, mein Bruder. Denk lieber nach, bevor du das Maul aufreißt.« Unalaq blitzte ihn wütend an, doch Yakone fuhr unbeeindruckt fort: »Hat irgendeiner von euch gesehen, wie diese Neuankömmlinge Robben gefressen haben?« Sein Blick wanderte über die Menge. »Nein? Vielleicht liegt das ja daran, dass sie sich gar nicht von Robben ernähren.«
Ujurak war dankbar, dass wenigstens einer von diesen Eisbären vernünftig zu sein schien. Er nahm den Geruch der Krankheit an Yakone wahr und erkannte sie auch in seinen trüben Augen. Er schob ein wenig Moos in seine Richtung.
»Friss das«, sagte er. »Es wird dir helfen.«
Yakone beäugte das Moos unsicher. Doch bevor er die Tatze danach ausstrecken konnte, warf Aga sich dazwischen.
»Ich werde es als Erste fressen«, verkündete sie. »Vor allen meinen Bären.«
Ujurak bewunderte ihren Edelmut, hielt sie aber auf, als sie sich dem Moos näherte. Er beschnupperte sie gründlich und erkannte, dass sie keine vergiftete Robbe gefressen hatte.
»Du bist nicht krank«, erklärte er. »Bei dir würde das Moos nur für unnötige Übelkeit sorgen.«
»Aber –«, setzte Aga an.
»Ich werde es fressen«, unterbrach sie Ujurak. »Dann könnt ihr sehen, was für eine Wirkung es auf euch haben wird. Angenehm ist es nicht, aber hinterher geht es euch besser. Versprochen.«
Ujurak riss mit den Zähnen ein bisschen von dem Moos ab und begann zu fressen. Während er kaute, spürte er die bohrenden Blicke sämtlicher Bären auf sich. Unalaq trug sein Misstrauen zur Schau, Lusa zeigte sich ehrlich besorgt und Agas Blick war voll unergründlicher Weisheit.
Die Säfte des Mooses hatten einen ätzenden Geschmack, gegen den Ujuraks Magen sich fast augenblicklich auflehnte. Eilig stolperte er durch die Menge, die ihm bereitwillig Platz machte, und übergab sich, bis nichts mehr in ihm war. Rasch fraß er sauberen Schnee, um den bitteren Geschmack aus dem Maul zu bekommen, und kehrte dann leicht schwankend zu den versammelten Bären zurück.
»Seht ihr?«, krächzte er. »Das ist alles, was passiert. Das Moos befreit euch von dem vergifteten Robbenfleisch.«
Aga sah Lusa an. »Und du? Bist du von der Sache überzeugt?«
Lusa nickte energisch. »Ujurak irrt sich nie, wenn es um Kräuter geht«, versicherte sie der alten Bärin. »Und … und ich weiß, dass es euch Eisbären helfen wird.«
Mit einem Mal wirkte Aga weniger alt und gebrechlich. »Illa, geh und sage allen kranken Bären Bescheid«, befahl sie. »Sie sollen herkommen und das Moos fressen.«
»Toklo, könntest du noch ein bisschen mehr davon holen?«, fragte Ujurak. Er fühlte sich noch zu schwach auf den Beinen, um den ganzen Weg ins Tal zurückzugehen. »Lusa zeigt dir, wo du es findest.«
»Bin schon unterwegs«, antwortete Toklo und machte sich gemeinsam mit Lusa auf den Weg.
Kallik blieb an Ujuraks Seite. »Ich lass dich nicht allein, solange dieser Unalaq hier ist«, zischte sie ihm zu.
Einer nach dem anderen traten die kranken Bären heran, nahmen ein Maulvoll von dem Moos und zogen sich dann zurück. Unalaq beobachtete das Geschehen eine Weile, dann schob er das Moos verächtlich von sich.
»Ich fress das Zeug nicht!«, knurrte er. »Mögen alle anderen hier so blöd sein, euch zu glauben, aber mich legt ihr nicht herein.«
»Du bist nicht krank«, erklärte Ujurak, nachdem er den Pelz des großen Bären kurz beschnuppert hatte. »Also brauchst du es auch nicht zu fressen.«
»Selbst wenn ich krank wäre, würde ich das Zeug nicht anrühren!«
Zwei andere Bären, junge Männchen wie Unalaq, standen dicht hinter ihm und unterstrichen seine Worte mit beifälligem Nicken.
»Du hast recht, Unalaq«, sagte einer von ihnen. »Warum sollten diese fremden Bären uns helfen wollen?«
Ein brennendes Gefühl der Enttäuschung stieg in Ujurak hoch. Wie können sie nur so dumm sein? Sie wollen sich einfach nicht helfen lassen . »Wenn ihr die vergifteten Robben fresst, werdet ihr sterben!«, rief er wütend.
Bevor Unalaq oder einer der anderen antworten konnte, schob Kallik Ujurak beiseite. »Beruhige dich«, sagte sie leise. »Es hat keinen Sinn.«
Als Ujurak sich umwandte, sah er Yakone auf sich zukommen. Er sah ziemlich mitgenommen aus.
»Du hattest recht«, sagte Yakone heiser. »Ich bin das ganze Robbenfleisch los, das ich gestern gefressen hatte. Es … es hat furchtbar gestunken.«
»Bald geht’s dir besser«, versicherte Kallik. »Leg dich hin und ruh dich ein
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