Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)

in seichteres Gewässer oder in den Schutz von Felsen, während der Dunkle, der Silberne, die Scheckige und andere eine geschlossene Linie bildeten, um den feindlichen Wal von der Seite zu attackieren.
    Sie waren so schnell, dass Ujurak sich nicht rechtzeitig drehen konnte, um dem Angriff frontal zu begegnen. Die Verteidigungslinie der Robben krachte mit ihren stumpfen Nasen in seine Seite und von der Wucht des Anpralls geriet er ins Trudeln.
    Sich seinen Walinstinkten hingebend, versuchte Ujurak zurückzuschlagen und nach den Robben zu schnappen. Doch ihre geschmeidigen Körper wichen seinen Zähnen geschickt aus und formierten sich zu einem neuen Angriff. Ujuraks Furcht vor dem flacheren Wasser hielt ihn davon ab, ihnen nachzusetzen.
    Wasser schäumte auf, als die Robben ihn wieder und wieder mit vereinten Kräften rammten. Schließlich zog Ujurak sich zurück und schwamm in tieferes Gewässer. Während die Schwärze ihn einhüllte, schwand der Beutegeruch aus seiner Nase, und das Bewusstsein, ein Bär zu sein, gewann wieder die Oberhand.
    Hoffen wir, dass ich genug getan habe. Mehr kann ich nicht.
    Ujurak näherte sich wieder der Bucht und steuerte auf die Felsen zu. Mit großer Erleichterung stieg er aus dem Meer, nachdem er seine vertraute Bärengestalt wieder angenommen hatte. Allerdings tat ihm jeder einzelne Muskel seines Körpers weh, als er über den Strand stapfte und nach einer geeigneten Stelle suchte, um nach oben zu seinen Freunden zu gelangen.
    Lusa, Toklo und Kallik spähten immer noch über den Klippenrand und beobachteten die Robben. Die anderen Eisbären waren verschwunden. Anscheinend hatten die Freunde sie doch überzeugen können, sich zurückzuziehen. Als Ujurak sich ihnen näherte, wollte Lusa sofort wissen: »Bist du von dem Orca angegriffen worden?«
    »Nein, das war ich.« Ujurak sank neben ihr nieder, vorerst nicht imstande, ihre drängenden Fragen zu beantworten.
    »Bist du wahnsinnig?«, fragte Kallik entsetzt. »Jetzt ziehen sie garantiert nicht mehr um, wenn sie glauben, dass da ein Orca im Meer auf sie wartet!«
    »Moment mal«, unterbrach ihn Toklo, bevor Ujurak antworten konnte. Der große Grizzly starrte unverwandt in die Bucht. »Da ist irgendwas im Gange.«
    Gemeinsam blickten die Bären nach unten. Ujurak sah, dass sich am Ausgang der Bucht eine geschlossene Gruppe von Robben versammelt hatte, deren dunkle Leiber unter dem Eis kreisten. Aber auch die Robben, die sich noch oben befanden, glitten eine nach der anderen in die Atemlöcher, um sich ihren Freunden anzuschließen. Von Zeit zu Zeit tauchte der Kopf des Dunklen aus einem der Löcher auf und bellte den Nachzüglern etwas zu.
    »Sie gehen weg von hier!«, brummte Kallik erleichtert.
    Ujurak mochte seinen Augen kaum trauen. Er war vollkommen erschöpft und mitgenommen von dem Kampf, aber das Ergebnis machte alles wieder wett. »Sie wissen jetzt, dass sie mutig und stark sind«, murmelte er. »Sie wissen, dass sie selbst für ihre Sicherheit sorgen können, ohne sich auf die Nichtschwimmenden verlassen zu müssen.«
    Toklo sah Ujurak an, als zweifle er am Verstand des Freundes. Ujurak war aber zu müde für irgendwelche Erklärungen.
    Zusammen mit seinen Freunden stand er auf der Klippe und sah zu, wie die letzten Robben in den Atemlöchern verschwanden. Ujurak malte sich aus, wie sie unter dem Eis bis zu der sauberen Bucht schwammen und dort ein neues Revier fanden.
    »Es wird eine Weile dauern, bis das Gift aus den Körpern der Robben verschwunden ist«, sagte er. »Aber es ist nur eine Frage der Zeit.«
    »Dann werden die Eisbären wieder jagen können, ohne von ihrer Beute krank zu werden.« Aus Lusas Stimme klang tiefe Zufriedenheit.
    Ujurak dagegen sah sich plötzlich in Gewissensnöten. In seiner Robbengestalt, und mehr noch sogar als Orca, hatte er Respekt vor den Robben gewonnen. War es richtig, sie an einen Ort zu schicken, wo die Eisbären sie besser jagen konnten?
    Doch dann sagte er sich, dass die Bären, unabhängig davon, was er tat oder nicht tat, die Robben ohnehin jagen würden, ganz gleich, wo sie lebten. Das war der Lauf der Welt: Eisbären fraßen Robben, genau wie Robben Fische fraßen und Orcas Robben und Bären.
    Wenigstens haben wir ihnen die Möglichkeit verschafft, in sauberem Wasser zu leben.
    Er blickte zum grauen Himmel hinauf und fragte sich, ob seine Mutter, die Große Bärin, ihn wohl beobachtete. Der Kampf hat begonnen, teilte er ihr im Stillen mit. Wir schlagen zurück.

12.