Seekers. Sternengeister: Band 6 (German Edition)
einer Bodensenke kamen. »Verstecken wir uns hier«, zischte Lusa Ujurak zu. »Dann können die Karibus uns nicht sehen, während wir auf Kalliks Zeichen warten.«
Ujurak nickte und schlüpfte neben sie. Lusa streckte die Schnauze über den Rand der Mulde, um die friedlich grasende Herde zu beobachten. Es war ein ganzer Wald voller Karibubeine. Die Zeit verging langsam, die Augenblicke schienen sich endlos in die Länge zu ziehen, bis ihr jeder einzelne wie ein ganzer Sonnenkreislauf vorkam.
»Wo bleibt Kallik bloß?«, raunte sie Ujurak zu.
Sie hatte den Satz kaum beendet, da erklang das mächtige Brüllen eines Eisbären hinter der Herde. Lusa spürte, wie Ujurak sich anspannte.
Einige Karibus sprangen zur Seite und da sah Lusa Kallik. Er hatte sich hoch aufgerichtet, das Maul weit aufgerissen zu einem weiteren, lang gezogenen Brüllen. Lusa lief es kalt den Rücken hinunter.
Sie macht sogar mir Angst, dabei bin ich ihre Freundin!
Doch nur wenige Karibus wichen zurück, um sich in die Mitte der Herde zu drängen, alle anderen grasten unbekümmert weiter. Kallik machte einen drohenden Schritt nach vorn, doch zu Lusas Entsetzen löste sich in diesem Moment ein mutiger Karibubulle aus der Herde und stellte sich ihr entgegen.
Fauchend schwang Kallik eine Tatze gegen ihn, worauf der Bulle zurückwich. Doch andere Karibus traten an seine Seite und stießen ein kämpferisches Brüllen aus, während sie auf die Eisbärin zurückten.
O nein! Lusa bekam Angst, als sie sich vorstellte, wie sie mit ihren scharfen Hufen auf Kallik eintrampeln würden. Sie wehren sich!
Dann entdeckte sie Toklo, der um das Ende der Herde herumgerannt kam, um Kallik beizuspringen. Auch er stellte sich auf die Hinterbeine und brüllte so laut er konnte, all seine Wut gegen die Karibus kehrend, die Kallik bedrohten. Im Rückwärtsgang warfen sie ihre Köpfe mit den Geweihen hin und her und versuchten, Toklos Klauen zu entgehen.
Es kam Bewegung in die Karibus. Lusa spürte ihr Unbehagen, als die ganze Herde in ihre Richtung zu rücken begann. Sie machte sich bereit, aus der Senke zu springen, doch Ujurak hielt sie zurück.
»Warte. Wir müssen Toklo Zeit geben, an seinen Platz zurückzukehren.«
Lusa nickte, obwohl ihr ganz flau im Magen wurde, als sie die Karibuherde heranrollen sah wie eine mächtige Welle. Die ganze Welt schien nur noch aus trampelnden Hufen zu bestehen.
Die Karibus waren fast bei ihnen angelangt, als Ujurak rief: »Jetzt!«
Seite an Seite sprangen die Bären aus ihrem Versteck und brüllten los. Die Karibus wichen zurück, und die Woge aus graubraunem Fell und dürren Beinen geriet ins Stocken, bevor sie sich schließlich in die richtige Richtung wandte.
Lusa und Ujurak rannten neben ihnen her. Sie mussten sich mächtig anstrengen, um mit der panischen Herde Schritt zu halten. Als Lusa sich einmal hastig umdrehte, sah sie, dass Kallik sich zurückfallen ließ.
»Sie sind zu schnell!«, keuchte sie. »Denk dran, was Toklo gesagt hat! Sie werden zu erschöpft sein, um den Bohrturm niederzureißen, wenn sie in diesem Tempo weiterlaufen.«
Sie und Ujurak nahmen ihre Geschwindigkeit zurück, damit auch die Karibus langsamer werden konnten. Für einen Moment glaubte Lusa, dass ihr Plan aufgehen würde. Doch dann wurde das Tempo langsamer als gewollt. Einige der Karibus blieben sogar stehen und senkten die Köpfe, um wieder zu grasen, während andere zur Seite ausscherten und drohende Schreie in Richtung der Bären ausstießen.
Sie sind so mutig!, staunte Lusa.
Seite an Seite stellten sie und Ujurak sich diesen Tieren entgegen, drängten sie zurück in die Menge. Jetzt tauchte auch Kallik wieder auf, scheuchte die Karibus von hinten, während gegenüber Toklos Brüllen erklang. Die Karibus bewegten sich nun wieder schneller.
Anstatt aber geordnet in die Richtung zu laufen, die die Bären vorgesehen hatten, begann die Herde sich aufzulösen, und einige kleinere Gruppen brachen zu den Talrändern hin aus.
»Es funktioniert nicht!«, rief Lusa niedergeschlagen.
Plötzlich jedoch ertönten über ihnen heisere Schreie und die Luft war erfüllt von Flügelschlägen. Eine große Rabenschar schoss über die Köpfe der Bären hinweg und tauchte hinab zu den sich im Tal verstreuenden Karibus. Sie hackten mit ihren Schnäbeln auf sie ein, bis die Karibus, um die Angreifer abzuschütteln, wieder zurück zur Herde liefen.
»Tulugaqs Raben!«, rief Ujurak mit glänzenden Augen. »Sie sind gekommen, um uns zu helfen!«
Lusa
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