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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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Person
erzählen wird:
Doreen, Schatz, hast du noch eine Ahnung, wie sie hieß? ... Marlen oder Monika oder
... So oder so ähnlich wird er sich ausdrücken – ich hoffe es wenigstens. Und deshalb lächle ich nur nachsichtig, als die beiden endlich zu ihrem »Spaziergängle« aufbrechen, wie Moni schon zum dritten Mal wiederholt, mit Schirm, denn in Aulendorf wisse man nie, wie sich das Wetter entwickle.
    »Ha! Damit du blöde Kuh unterm Schirm an ihn naschlupfe kannsch!«, sage ich laut, als ich das Geschirr in die Küche bringe ... Moment mal! War
ich
das gerade, die schwäbisch geredet hat? Vermutlich vor lauter Staunen darüber rutscht mir der Teller aus der Hand und zerspringt auf den Fliesen. Ich starre wie betäubt auf die tausend Einzelteile und versuche mich ein zweites Mal an dem Satz, aber dieses Mal klingt er unecht, wie auswendig gelernt. Dialekt ist Gefühl, und mit den Gefühlen klappt es eben nicht immer.
    Vielleicht wäre es sinnvoller, sich jetzt um einen Besen zu kümmern, anstatt tiefgründige Überlegungen anzustellen. Ich horche, denn ich glaube, Schritte gehört zu haben, aber vermutlich habe ich mich getäuscht. Denn als ich im Flur nachschaue, ist dort alles ruhig – und weit und breit kein Rudolf zu sehen, der reumütig an meine (zugegebenermaßen nicht so füllige) Oberweite zurückkehrt.
    Kein Problem, denke ich trotzig, ich habe Wichtigeres zu tun. Mit Hilfe von zwei vollen Sprudelflaschen kräftige ich zuerst meine Oberarme (leicht wabbelig und damit eine neue Baustelle, wie ich mit Schrecken festgestellt habe), mache noch schnell mein phänomenales seitliches Bauchmuskeltraining – hoffe, es nützt irgendwann! – und fahnde dann nach einem Besen. Ich finde ihn schließlich in der Abstellkammer, dort, wo er vor zwanzig Jahren auch schon hing, und fege die Scherben zusammen.
    Eine Viertelstunde später habe ich das Geschirr in die Spülmaschine geräumt und den Kühlschrank inspiziert. Zwei Schüsseln mit Kartoffelsalat, eine Platte mit Leberkäs, zehn Paar Saitenwürschtle, drei Packungen Maultaschen, ein Topf mit Kässpätzle ... Den Rest schenke ich mir, denn mein Bedürfnis nach schwäbischen Spezialitäten, wie sie dieser Kühlschrank im Überfluss zu bieten hat, ist im Moment eher gering.
    Ich koche mir einen Kaffee, ganz altmodisch mit Mamas Melittafilter aus Porzellan, und während ich das Wasser langsam aufgieße, greife ich nach der
Schwäbischen Zeitung
, die wie früher im Zeitungsständer neben der Eckbank liegt, und ertappe mich dabei, dass ich als Erstes die Todesanzeigen studiere.
    Beißwanger? ... Beißwanger? ... Hieß nicht mein Physiklehrer so? Herr Beißwanger, der mich damals beiseitegenommen hatte, als die Sache mit Uli passiert war; Herr Beißwanger, der aufmunternd lächelte, als ich ihm unter Tränen von meinem Unglück erzählte, und der mir daraufhin den ultimativen Spruch der siebziger Jahre ans Herz gelegt hatte: »Dorothea, lass dir eines gesagt sein: Träume nicht dein Leben. Lebe deinen Traum.«
    Ich habe es versucht, doch ganz so einfach ist es nicht, denke ich, aber trotzdem danke, Herr Beißwanger. Entschlossen blättere ich weiter. Denn im Moment ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit der Vergangenheit und all dem zu beschäftigen. Heute bin ich bereits mit der Gegenwart überfordert.
    Halb fünf! Meine beiden Turteltäubchen müssten schon längst wieder zurück sein, denn so viele Sehenswürdigkeiten bietet Aulendorf nun auch wieder nicht. Es sei denn, man hat anderes zu tun ... Ich brühe mir den nächsten Kaffee auf (obwohl ich weiß, dass ich danach die halbe Nacht wach liegen werde), und ohne dass ich etwas dagegen tun kann, schweifen meine Gedanken ab zum Stadtpark mit seinen wunderschönen alten Bäumen und verträumten Wegen.
    An einem warmen Sommerabend habe ich Uli dort zum zweiten Mal geküsst – dieses Mal aber richtig. Und als wir wieder einigermaßen klar denken konnten, schlug er vor, etwas für die Ewigkeit zu schaffen. Genau so drückte er sich aus, und bei der Erinnerung daran muss ich lächeln. Was ist schon für die Ewigkeit? Aber Uli war seiner Sache so sicher, er ritzte unsere Namen in einen Baum, ich glaube, es war eine Rotbuche, und wir küssten uns wieder und wieder und schworen uns ewige Liebe. Wir waren jung, und woher sollten wir es besser wissen?
    Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, tatsächlich in den Park zu gehen und unseren Baum zu suchen, habe mir sogar schon Schuhe angezogen und einen Regenschirm

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