Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
gefunden (es gießt inzwischen in Strömen), da sehe ich jemanden vor der Haustür stehen. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. So lange hat Rudolf es mit Moni also nicht ausgehalten. Anscheinend ist ihm ihr Kleinmädchengetue (»Huhu, ich habe Kleidergröße sechsunddreißig!«) doch ziemlich auf den Wecker gegangen. Hat er nicht neulich erst über Frauen jenseits der Vierzig gelästert, die sich wie Teenies benehmen?
Na also, denke ich zufrieden, und nehme mir vor, kein Wort über seine kurzzeitige Verwirrung fallen zu lassen. Ich bin schließlich eine reife Frau, ich habe das gar nicht nötig. Das Klopfen an der Tür ignoriere ich dann aber doch noch für ein paar Sekunden – Rudolf soll bloß nicht denken, dass ich womöglich auf ihn gewartet habe. In aller Ruhe ziehe ich mir die Lippen nach, während das Klopfen immer heftiger wird.
»Doro?«, höre ich gedämpft rufen.
Ich lächle meinem Spiegelbild zu, und mit genau diesem absolut umwerfenden Lächeln, mit dem ich so erfolgreich Damenhandtaschen vor dem KaDeWe verkauft habe, dass ich jede Woche die Extraprämie bekam, öffne ich die Tür. Als ich sehe, wer davorsteht, verrutscht es allerdings ein wenig.
»Alles in Ordnung mit dir?« Wolfgang schaut mich besorgt an. »Du machst so ein merkwürdiges Gesicht.«
»Ich habe lediglich mit einem Lächeln auf den Lippen die Tür geöffnet«, gebe ich zurück und lasse meine Mundwinkel wieder in ihre übliche Position sinken. Was für meinen Bruder völlig ausreichend ist – und außerdem scheint er im Moment ganz andere Sorgen zu haben.
»Renate hat den Kartoffelsalat vergessen«, erklärt er. »Ich wollte nicht klingeln, weil Papa vielleicht noch schläft. Übrigens, die Fliesen waren natürlich ausverkauft, und das alles nur, weil Renate mal wieder kein Ende finden konnte.«
»Wolfgang! Jetzt halt bloß mal die Luft an!« Renate, das Augen-Make-up verschmiert (vom Regen? Oder hat sie womöglich geheult?), ist hinter ihm aufgetaucht und klappt wütend ihren Regenschirm zusammen. »Sauwetter!«, stellt sie fest. »Und Wolfgang macht mal wieder aus allem ein Drama. Als ob die Welt untergeht wegen dieser geschmacklosen Fliesen.«
Ich habe es schon immer vorgezogen, bei ehelichen Auseinandersetzungen – egal, ob von Freunden oder Verwandten – freundlich, aber desinteressiert zu lächeln (das nimmt die Luft raus, habe ich bei Helen gelernt), und genauso halte ich es auch jetzt wieder. Allerdings stelle ich erstaunt fest, was in Berlin funktioniert, funktioniert in Aulendorf noch lange nicht. Jedenfalls kümmern sich die beiden reichlich wenig um meinen entrückten Gesichtsausdruck, im Gegenteil, ich habe sogar das Gefühl, Wolfgang und Renate glauben, jetzt alles geben zu müssen.
»Wenn du nicht immer so ein Theater mit deinem lächerlichen Kartoffelsalat machen würdest!«
»Was heißt hier Theater? Lächerlicher Kartoffelsalat? Lächerlich ist, wegen sieben Euro Ersparnis grauenhaft hässliche Fliesen zu kaufen, die dazu noch ...«
»Schrei nicht so! Die Fliesen waren doch schon weg. Und bloß, weil du unbedingt den Kartoffelsalat ...«
Ich merke, die beiden sind geübte Streithähne, die sich mit großer Routine im Kreis drehen. »Viel Spaß noch«, sage ich leise und greife nach meinem Regenschirm. Was dann passiert, erstaunt mich aber doch. Von einem Moment auf den anderen ist der Streit vorbei. Stattdessen bestürmen mich beide einträchtig (einträchtig!), ich solle noch ein paar Minuten dableiben, man könne dann gleich ein paar wichtige Dinge besprechen.
Ich schüttle den Kopf. »Ich gehe jetzt spazieren. Besprechen können wir morgen alles; wir haben doch ausgemacht, dass wir euch besuchen kommen.«
»Aber vielleicht könnten wir noch einen Kaffee zusammen trinken? Doro, wir haben dich so lange nicht mehr gesehen.«
Ich verstehe die Welt nicht mehr. Jahrelang waren drei, vier Telefonate und eine Karte zum Geburtstag und dann noch eine zu Weihnachten völlig ausreichend, aber jetzt auf einmal entwickelt meine Familie eine Anhänglichkeit, dass es mir unheimlich wird. »Ich brauche jetzt aber unbedingt frische Luft!«, unterbreche ich Renate, als sie noch einmal den Vorschlag mit dem Kaffee macht. »Außerdem hab ich schon drei Tassen intus. Tschüss mal.«
»Warte kurz, eine Frage noch!«, ruft sie mir hinterher. »Wo ist Rudolf?«
Einmal tief durchatmen, lächeln, umdrehen. »Keine Ahnung. Auch spazieren vermutlich.« Täusche ich mich, oder entspannt sich die Miene meiner Schwägerin
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