Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
tatsächlich? Und dann wird mir schlagartig so einiges klar. Natürlich, warum habe ich nicht gleich daran gedacht! Wenn Moni mit Rudolf beschäftigt ist, hat sie keine Ambitionen auf Wolfgang. Mein Rudolf wird sozusagen dem Miststück zum Fraß vorgeworfen, nur damit Renate ihren Göttergatten in Sicherheit weiß.
Ich befürchte, ich habe meine Schwägerin bislang unterschätzt. Den Regen übrigens auch, wie ich nach wenigen Metern bedauernd feststelle. Es schüttet wie aus Kübeln; bei diesem Wolkenbruch ist nicht einmal Frau Stützle auf der Straße, und das gibt mir zu denken. Ich kehre um.
Wolfgang kommt gerade die Treppe herunter, als ich mit dem triefenden Schirm in der Haustür stehe. »Warst du bei Papa oben? Wie geht es ihm?«, rufe ich ihm entgegen.
»Papa? ... Gut, warum?«
»Na, du bist vielleicht witzig«, sage ich kopfschüttelnd. »Warum frage ich wohl? Weil es ihm vorhin überhaupt nicht gutging!«
»Reg dich ab«, sagt Wolfgang mürrisch. »Es geht ihm relativ gut im Vergleich zu vorhin. Aber stör ihn die nächsten Stunden bloß nicht. Er will nur schlafen.«
Stör Papa nicht, reg Papa nicht auf, lass Papa schlafen
– mehr habe ich heute noch nicht gehört. Nun bin ich zwar keine Expertin, aber so viel ist auch mir klar: Ich muss dringend mit Papas Hausarzt reden, denn Wolfgangs therapeutisches Konzept (falls er überhaupt eines hat) erscheint mir sehr selbstgestrickt.
»Doch einen Kaffee?«, fragt er versöhnlich, und ich nicke und trotte in die Küche.
Was ich postwendend bereue, denn dort steht Renate mit roten Flecken im Gesicht und Schweißperlen auf der Stirn, reißt eine Schublade nach der anderen auf und legt dann los: »Wo ist denn jetzt schon wieder die Haushaltsfolie? Mein Gott, in diesem Durcheinander kann doch kein Mensch was finden! Doro, du hast doch nichts dagegen, wenn wir uns die Hälfte mitnehmen? Für euch ist noch genügend da, hab ich recht? Der Kartoffelsalat war doch fein, da kann man nichts sagen, wirklich nicht, findest du nicht?«
Uaah! Unwillkürlich habe ich während Renates Monolog (fast ohne Punkt und ohne Komma) die Luft angehalten, und so kommt es, dass wir beide gleichzeitig wieder Luft holen. Wolfgang, in zwanzig langen Ehejahren abgehärtet, stellt ungerührt Kaffeewasser auf. Ich lasse mich erschöpft auf die Eckbank sinken. Erst jetzt fällt mir auf, dass Renate auf Hochdeutsch umgeschwenkt ist, die ganze Zeit schon, wenn ich mich richtig erinnere. Die schwäbische Gemütlichkeit, die sie vorhin noch Rudolf gegenüber ausgestrahlt hat, ist auf einmal weg. Stattdessen könnte Renate eine gestresste Mittvierzigerin in Hamm sein, oder von mir aus auch in Unna, in ...
Ich lächle hinterhältig und sage laut: »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du zweisprachig bist. Kompliment!«
»Zweisprachig? Wie meinst du das? ... Ach so ...« Ganz plötzlich scheint die Suche nach der Frischhaltefolie nebensächlich geworden zu sein. Renate greift nach der
Schwäbischen
und fächelt sich Luft zu, sieht dabei Wolfgang hilfesuchend an und meint schließlich betreten: »Ich hab halt gedacht, es wäre nett für Rudolf. Es wirkt immer so heimelig, wenn man schwäbisch redet.«
»Schwätzt«, verbessere ich.
Renate lächelt matt. »Von mir aus. Jedenfalls war es nicht böse gemeint. Nicht dass du denkst, Doro. Aber ich finde, für jemanden, der aus Berlin hierherkommt, sollte es halt ...«
Sie verstummt. Wolfgang schiebt mir einen Kaffeebecher rüber. Inzwischen ist mir egal, ob ich heute Nacht überhaupt ein Auge zumache. »Was sollte es halt?«, setze ich nach.
Renate, plötzlich ungewohnt wortkarg, zupft am Ausschnitt ihrer Kostümjacke herum. Wenn ich Wolfgang wäre, würde mich das verrückt machen. »Also?«
»Es sollte halt echt wirken. Wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich lache auf. »Liebe Renate, dann ist das Ganze hier also so eine Art Oberschwaben-Disneyland. Sehe ich das richtig? Nur, damit es für Rudolf heimelig wirkt?« Ich schüttle den Kopf. Manchmal verstehe ich die Welt wirklich nicht mehr.
»Ein bisschen war das auch für dich gedacht«, sagt Wolfgang in die Stille hinein. »Damit du dich wieder daheim fühlst. Du darfst es Renate nicht übelnehmen, sie hat es wirklich nur gut gemeint.«
»Eigentlich ist es mir ja auch egal. Aber wegen mir braucht wirklich niemand extra schwäbisch zu reden.«
»Schwätze.« Renate lächelt mich an. »Doro, der Wolfgang hat recht. Wir haben gedacht, dass du dich hier wohler fühlst, wenn es ein bisschen so
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