Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
ist wie früher. Du weißt doch, als die Mama noch gelebt hat.«
»Vom Schwäbischschwätzen wird Mama auch nicht wieder lebendig«, sage ich hart. »Jedenfalls bin ich bereits jetzt froh, übermorgen wieder in Berlin zu sein.«
»Übermorgen?« Renate reißt entsetzt die Augen auf, und auch Wolfgang schaut mich überrascht an.
Mein Handy meldet sich. Die Nummer ist unterdrückt, es kann also nur Rudolf sein, aber ich lasse es klingeln. Ich habe nämlich den Eindruck, dass ich hier erst einmal einiges klarstellen sollte.
»Ja, übermorgen«, bekräftige ich. »Wolfgang, wir hatten ausgemacht, dass ich nach Papa schaue. Habe ich auch getan! Allerdings glaube ich nicht, dass meine Anwesenheit ihm irgendwie nützt. Oder? ... Ihr habt vorhin gesagt, ich soll ihn schlafen lassen. Das mache ich natürlich, aber was soll ich dann überhaupt hier? Vielleicht seinen Schlaf überwachen? Und dabei warten, bis Rudolf wieder auftaucht? Falls er überhaupt wieder auftaucht.«
Der letzte Satz ist mir eher so rausgerutscht, und ich würde ihn liebend gern wieder zurückholen, denn Renate nimmt sofort meine Hand, tätschelt sie und meint mit bekümmerter Miene: »Ach Doro, das tut mir alles so leid. Wenn ich das gewusst hätte. Ich glaub, wir müssen dir jetzt wirklich ...«
»Renate!« Wolfgang ist aufgesprungen. »Jetzt halt endlich mal den Mund!«
Damit spricht er mir aus dem Herzen. »Hier läuft doch alles hervorragend ohne mich!«, fahre ich aufgebracht fort. »Am Telefon hast du gesagt, dass vormittags eine Haushaltshilfe kommt, ihr kümmert euch jeden Tag um Papa und dann ist da ja auch noch Tante Frieda. Ich frage mich also, was soll ich hier? Rumsitzen? Kaffee trinken? Darauf warten, dass irgendwann irgendetwas passiert?« Ich ziehe energisch meine Hand zurück, trinke den allerletzten Schluck und stehe auf. »Es bleibt dabei! Wir nehmen Papas Auto – das ist schließlich so ausgemacht – und fahren übermorgen zurück. Rudolf hat nämlich auch noch seine Galerie, und die kann er nicht ewig alleinlassen.«
»Dann könnte er doch schon mal vorausfahren, mit dem Auto, und du kommst dann später nach. Das wäre doch eine Lösung, was meinst du, Doro? Ich finde die Idee genial.«
Ich lächle Renate an (vermutlich hat sie hohen Blutdruck, denn auf ihren Wangen breiten sich schon wieder diese unkleidsamen roten Flecken aus) und schüttle den Kopf. »Vergiss es.«
»Hast du dir mal überlegt, dass es nicht sehr fair ist von dir, uns die ganze Arbeit zu überlassen?«
Wolfgang spricht langsam und betont, und ich weiß: Er ist kurz davor, laut zu werden.
Aber das kann ich auch, und deshalb gebe ich genauso langsam und betont zurück: »Hast du dir mal überlegt, dass es ganz schön viel Geld ist, das ich jeden Monat für die Haushaltshilfe überweise?«
»Ha! Du hast noch keinen einzigen Cent bezahlt!«
»Die Haushaltshilfe ist ja auch erst seit zwei Wochen da!«
Kann sein, dass wir doch zu laut geworden sind, denn Papa ist aufgewacht; im Obergeschoss sind Schritte zu hören. Mit einer Geschwindigkeit, die ich der fülligen Renate niemals zugetraut hätte, rennt sie aus der Küche. Ehrlich gesagt, es sieht eher nach Flucht aus. Und Wolfgang sofort hinterher. An der Küchentür dreht er sich aber um und hält mir die Hand hin. »Komm, Doro, das ist jetzt nicht die Zeit für Streit. Lass uns Frieden schließen. Um Papas willen.«
Mir kommen fast die Tränen, aber dann schlage ich doch ein.
Einige Zeit später sitze ich oben neben Papas Bett, der Regen trommelt monoton gegen die Scheiben. Es ist fast dunkel im Zimmer, nur vom Flur fällt ein schmales Lichtband herein. Papa schläft, wenn ich die ruhigen Atemzüge richtig deute. Er hat auch nicht reagiert, als ich die Bettdecke, die nach unten gerutscht war, behutsam hochgezogen habe.
Ich lehne mich in dem Ohrensessel, den ich vom Fenster ans Bett geschoben habe, zurück und spüre, wie auch ich schläfrig werde. Mein Handy halte ich immer noch in der Hand, bereit, dieses Mal beim allerersten Ton abzunehmen. Denn inzwischen ist mir klar, dass es dumm war, es vorhin in der Küche einfach klingeln zu lassen. Aber erstens war ich beschäftigt, und zweitens fand ich dann die Vorstellung ganz apart, dass zur Abwechslung Rudolf sich vielleicht mal Gedanken darüber machen könnte, warum ich mich nicht melde. Das war vor über zwanzig Minuten, und seither warte ich vergeblich darauf, dass er es nochmals versucht.
»Doro?« ... Ich schrecke hoch. Wolfgang steht in der Tür,
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