Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
einiges geändert. Aulendorf ist nicht mehr das verschlafene Nest von früher, oh nein.« Leises Bedauern schwingt in ihren Worten mit. Dann fährt sie – mit Blick auf den Rhododendronbusch – fort: »Zweitens möchte man doch zu gerne wissen, was um einen herum passiert. Was die liebe Nachbarschaft so macht, Sie verstehen? Und drittens wissen Sie ja sicherlich, was die Schwaben in den Genen haben: Schaffe, schaffe, Häusle baue.«
Sie beugt sich vor und legt vertraulich ihre makellos manikürte Hand auf Rudolfs Unterarm. »Apropos Häusle bauen. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Einkommen eine Familie ernähren können? Ich vermute doch, dass Sie sich selbstverständlich auch Kinder wünschen. So alt sind Sie ja noch nicht, und mit ein bisschen ärztlicher Hilfe lässt sich einiges bewerkstelligen. Seien Sie da ganz unbesorgt.«
Rudolfs gelassener Gesichtsausdruck lässt nicht vermuten, dass er sich darüber bisher allzu große Sorgen gemacht hat, im Gegenteil. Das einzige Indiz, dass ihm dieses Thema doch unangenehm sein könnte, ist sein demonstrativer Blick auf die Uhr und ein vielsagendes Stirnrunzeln, als Frieda noch ein Stückchen näher rückt.
Ungerührt fährt sie fort: »Sicherlich ist es für Sie auch interessant, dass man heutzutage die Qualität der Spermien testen lassen kann. Eine segensreiche Erfindung, finden Sie nicht? Ich habe Ihnen gleich mal die Adresse aufgeschrieben.« Sie öffnet ihre Handtasche, beginnt zu kramen, murmelt: »Wo habe ich den Zettel nur hingesteckt? ... Ach, da fällt mir ein, was ich Sie noch fragen wollte: Wie sieht es denn generell mit der Zeugungsfähigkeit in Ihrer Familie aus? Ist Ihnen da irgendwas bekannt, was Anlass zur Sorge geben könnte? Unabhängig von Ihrer Spermienqualität, meine ich.«
Rudolf, mittlerweile sichtlich blass geworden, steht abrupt auf. »Ich muss mich verabschieden. Ich muss noch einiges erledigen.«
Frieda wirft mir einen Blick zu. Triumphierend, würde ich dazu sagen, aber das bilde ich mir bestimmt nur ein. »Entschuldige einen Moment!«, rufe ich und renne hinter Rudolf ins Haus.
»Das lass ich mir nicht bieten!«, schimpft er und zerrt sein Jackett von der Garderobe. »Meine Zeugungsfähigkeit anzuzweifeln! Ich verfüge über Eins-a-Spermien! Was bildet diese alte Schachtel sich eigentlich ein?«
»Alte Schachtel? Rudolf, nimm das sofort zurück. Es handelt sich immerhin um meine Tante.«
»Und um meine Spermien.«
»Natürlich. Selbstverständlich hast du Eins-a-Spermien«, sage ich schnell. Mir ist klar, dass jetzt nur noch die hohe Schule der Diplomatie hilft. »Frieda hat sich leider etwas ungeschickt ausgedrückt. Bestimmt macht ihr das Wetter zu schaffen. Komm, wir gehen wieder nach draußen, trinken noch einen Schluck Champagner, und spätestens in einer halben Stunde wird Frieda sich verabschieden. Sie bleibt nämlich nie lange.«
Doch Rudolf hat andere Pläne. Er habe sowieso nicht vorgehabt, den ganzen Nachmittag mit einer Verrückten zu verbringen (diesen Ausdruck ignoriere ich einfach mal, ich will ja nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen). »Ich habe nämlich Moni versprochen, nochmals vorbeizukommen. Schließlich hat sie ein Anrecht darauf, dass ich ihre Bilder mit der gebotenen Sorgfalt begutachte. Du willst doch bestimmt auch nicht, dass ich eine gravierende Fehlentscheidung treffe, womöglich Bilder ausstelle, die dem Niveau meiner Galerie nicht entsprechen, oder?«
»Ach, jetzt willst du ihre Bilder auch schon ausstellen? ... Dann lass uns doch nachher gemeinsam bei Moni vorbeigehen«, schlage ich versöhnlich vor. »Mich interessieren ihre Bilder nämlich auch, und vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei. Dass aus Moni mal eine Künstlerin wird, hätte man doch niemals gedacht. Ich erinnere mich noch gut, sie wollte eigentlich Stewardess werden, aber dann hat sie ja bei Pflückinger in der Buchhaltung gelernt, das ist die große Reifenhandlung in Biberach. Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
Tut er nicht, stelle ich fest. Mit unbewegtem Gesicht sitzt er auf der Treppe und poliert voller Hingabe seine Schuhe mit Frau Blumers Staubtuch.
»Hallo, hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Er pustet ein imaginäres Stäubchen von seinen perfekt polierten Schuhen. »Natürlich«, sagt er, »war ja wohl nicht zu überhören. Aber eines kannst du dir gleich abschminken: Dass du mitgehst zu Moni.« Und mit einem gemeinen Lächeln fügt er hinzu: »Auf deinen Kunstverstand würde ich nämlich gern
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