Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Dank nicht in Hörweite.
»Wir sollten von Frau Blumers Bienenstich probieren«, sage ich, um das Schweigen zu durchbrechen.
»Bienenstich bei diesem Wetter? Eher weniger. Aber zu einem Glas Sekt könntest du mich ohne weiteres überreden.«
Frieda also Champagner und ich Bienenstich. Ich esse sogar drei Stücke, aber nur, damit Frau Blumer nicht den Eindruck bekommt, es würde uns nicht schmecken.
»Kindchen, du weinst ja«, stellt Frieda plötzlich fest und legt den Arm um mich.
Ich bin eine starke Frau, die ihre Gefühle unter Kontrolle hat; ich war so ziemlich die Einzige, die im Kino nicht geheult hat, als die Titanic unterging, und ich heule nicht mal, wenn ich mir die Augenbrauen zupfe. Aber jetzt fließen die Tränen, ich kann sie nicht zurückhalten – und ich will es auch nicht mehr.
»Du kannst mir alles erzählen, was dich bedrückt. Das erleichtert, und ich will dir doch nur helfen«, meint Frieda, als ich mir die Nase putze. »Wir sollten aber besser ins Wohnzimmer gehen. Es blitzt nämlich schon.«
Meine unglückliche Beziehung zu Rudolf, mein unsicherer Job, meine Sorgen um Papa, der Unfall mit seinem Auto, dass ich nicht einmal weiß, wo es jetzt genau steht (Rudolf hat mir nämlich vorhin mit einer SMS – grußlos – mitgeteilt, dass er es vergeblich gesucht habe), sogar die Sache mit der Fahrradkette – ich erzähle alles. Nur von Uli sage ich kein Wort, nicht einmal, als Frieda behauptet, sie habe das Gefühl, da sei noch viel mehr, was mich bewege.
»Was ich dir erzählt habe, reicht doch schon«, erwidere ich. Ich fühle mich erleichtert, gleichzeitig aber auch erschöpft. Vermutlich hat Frieda ja recht, wenn sie behauptet, man könne sich alles von der Seele reden. Aber eine Lösung für meine Probleme hat sie augenscheinlich auch nicht. Sie sitzt mir gegenüber im Schaukelstuhl, knetet ihre Hände, und im fahlen Licht, das durch das Fenster fällt, wirkt sie plötzlich seltsam unentschlossen.
Vielleicht hätte ich ihr das nicht alles anvertrauen sollen, denke ich, als ich auf die Terrasse gehe, um mir noch eine Tasse Kaffee einzuschenken. Aus der Ferne ist leises Donnergrollen zu vernehmen, aber noch immer scheint die Luft im Garten zu stehen. Hoffentlich kommt endlich das Gewitter, denke ich, als ich nach meinem Handy greife, das auf dem Gartentisch liegt. In der Zwischenzeit sind zwei Anrufe gekommen, sehe ich, von Yasemin, die mir auch eine SMS geschrieben hat:
Ich hab ein Super-Angebot vom Voodoo-Laden in der Hallerstraße gefunden. Wochenendkurs. Nur 180 Euro. Soll ich dich gleich anmelden?
Ich will das Handy gerade wieder weglegen, da kommt die nächste SMS. Von Wolfgang. Kopfschüttelnd lese ich:
Sind für ein paar Tage weggefahren, melden uns wieder.
Gruß Wolfgang und Renate
»Schlechte Nachrichten?«, will Frieda wissen. Sie steht in der Tür, das Sektglas in der Hand und wirkt plötzlich wieder so energiegeladen wie immer.
»Wolfgang und Renate machen Urlaub. Großartig, dass ich das jetzt so nebenbei per SMS erfahre. Und ich darf zusehen, wie ich hier allein mit allem zurechtkomme. Dabei wäre es doch so wichtig für mich, dass ich endlich wieder nach Berlin zurückfahre. Tante Frieda ...?«
»Ja?«
»Könntest du nicht ein paar Tage hier im Haus bleiben? Nur so lange, bis sich eine Pflegerin für Papa gefunden hat. Ich hab dir doch erzählt, dass ich schon eine Anzeige aufgegeben habe. Es wären also nur ein paar Tage.«
»Nein!«
Dieses Nein kommt so entschieden, dass ich jeden weiteren Versuch unterlasse. Ich habe keine Ahnung, weshalb sie dermaßen schroff reagiert hat, und im Nachhinein scheint es ihr auch unangenehm zu sein. Zumindest glaube ich das herauszuhören, als sie sagt: »Dorothea, ich würde dir zu gern helfen, aber leider geht das in diesem Fall nicht. Es bleibt also bei einem schlichten Nein.« Sie gießt sich den letzten Rest Champagner ein, trinkt ihn in einem Zug aus, stellt das Glas auf den Couchtisch und meint: »Genug geredet. Konzentrieren wir uns auf Moni. Jetzt wird angegriffen! Moderne Kunst ist etwas, das mich brennend interessiert. Rauch, Richter, Pollock, die ganzen großen Namen, du weißt schon.«
Ich weiß zwar nicht, doch ich nicke, was allerdings in entschiedenes Kopfschütteln übergeht, als Frieda mir ihren Plan erläutert.
»Was hast du denn groß zu verlieren?«, fragt sie fröhlich, und da nicke ich zustimmend.
14. Kapitel
»Soll nicht lieber ich fahren? Du hast schließlich was getrunken.«
Frieda öffnet die
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