Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
er wolle doch unbedingt auch dabei sein. »Ach, die Tante isch au scho komme!«, ruft sie überrascht, als sie die Gardine ein Stück zur Seite schiebt. »So a schees Auto hat die Tante. Und dass etzt die ganz Familie so beinander isch und dann no so a Wetterle.«
»Aber sicher!«, rufe ich und flüchte erst einmal unter die Dusche. Minutenlang bleibe ich reglos unter dem kühlen Wasserstrahl stehen, aber dann kommen leider auch schon wieder die wirren Gedanken. War das vielleicht Ulis Freundin vorhin? Oder seine Frau? Aber dann hätte er sich bestimmt anders verhalten, hätte ... Schluss! Aus!, sage ich mir und greife nach dem Duschgel, dessen Farbe mich an Friedas Auto erinnert.
Aber warum taucht meine Tante ausgerechnet heute hier auf? Könnte es sein, dass sie etwas von Rudolf ahnt? Bei unserem letzten Telefonat habe ich ihr nichts von ihm erzählt, ihre bohrenden Fragen nach einem Mann an meiner Seite mit einem brüsken »Tante Frieda, misch dich da bitte nicht ein!« abgewehrt. Denn ich weiß, wie anstrengend sie sein kann.
Vermutlich muss man sie mit anderen Maßstäben messen, denke ich, als ich Minuten später mit Föhn, Rundbürste und einem phänomenalen Locken- und Volumen-Gel vorsichtig durch meine Haare gehe. Frieda war schon immer anders.
Exzentrisch
hat Mama das genannt, wenn sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Stolz von ihrer jüngeren Schwester erzählte. Frieda war früh ausgebrochen von Zuhause, mit einem Dokumentarfilmer durch die Welt gezogen, der später bei einem Buschbrand in Ostafrika ums Leben kam; sie hat unzählige Liebesromane geschrieben, alle mit grandiosem Happy End, von denen jedoch keiner je veröffentlicht wurde.
Unsere Frieda ist die letzte große Romantikerin
, sagte Mama immer.
Ich bin bloß gespannt, was diese Romantikerin jetzt hier will.
Inzwischen hat meine Frisur sich zufriedenstellend entwickelt. Von Locken und Volumen kann man zwar nicht direkt sprechen, aber als ich meinem Spiegelbild zulächle, finde ich mich doch ziemlich attraktiv. Ich schalte den Föhn aus und höre durch das gekippte Badezimmerfenster Rudolfs Stimme. Um Himmels willen, denke ich, er ist also doch pünktlich da! Was normalerweise zu loben wäre, in diesem Fall aber eher weniger passt. Ich kann nur hoffen, dass meine Tante sich zurückhält, sie ist manchmal nämlich etwas sehr direkt.
Als ich nach unten stürze, höre ich schon an der Terrassentür Friedas perlendes Lachen. Sie sitzt zwischen Papa und Rudolf, und alle drei scheinen sich hervorragend zu unterhalten, wie ich erleichtert feststelle. »Wunderschön ist es hier draußen!«, rufe ich.
Frieda wirft mir eine Kusshand zu. »Perfekt, meine Liebe.«
Das Kompliment kann ich nur zurückgeben. Alles an Frieda ist perfekt: der rosarote Lippenstift, das dezente Rouge, der angedeutete Lidstrich. Man könnte neidisch werden. Die Siebzig sieht man ihr jedenfalls nicht an. Was vermutlich auch daran liegt, dass sie eine Perücke trägt (Kurzhaar, blond), seit Jahren schon. Ich frage mich ernsthaft, ob das nicht auch eine Lösung für meine Haarprobleme sein könnte.
»Setz dich doch endlich, mein Schatz«, unterbricht Rudolf meine Gedanken. »Kaffee?«
13. Kapitel
Unser Gespräch im Schatten des alten Pflaumenbaums mäandert so vor sich hin, lauter unverfängliche Themen wie das Schlossfest, die Schwierigkeit, Ersatzteile für einen Oldtimer zu bekommen, die Eurokrise, das Wetter ... Papa ist schläfrig geworden, Frau Blumer bringt ihn ins Haus, und auch mich überfällt eine gewisse Müdigkeit.
»Was war denn das für ein Geräusch?« Rudolf beugt sich vor, lauscht mit angestrengtem Gesichtsausdruck.
Jetzt höre ich es auch: ein leises Scharren vom Nachbargrundstück, und Sekunden später taucht auch schon Frau Stützle hinter dem Rhododendronbusch auf, ein bedrohliches Gartengerät mit Zacken in der Hand.
»Allweil muss ma dr Boda lockra!«, ruft sie zu uns herüber. »I tät au gern so dohocka, aber mir hend halt immer a Arbet, gell.«
Rudolf will etwas erwidern, aber ich zische: »Sei bloß ruhig. Mit der Stützle darfst du um Himmels willen kein Gespräch anfangen, sie bringt es sonst noch fertig und setzt sich zu uns an den Kaffeetisch.«
»Hatte ich auch nicht vor. Aber ich dachte immer, Sonntag wäre hier auf dem Land ein echter Ruhetag.« Er legt den Arm um mich und ergänzt: »Zumindest hat Doreen mir das so erzählt.«
Frieda lacht laut und herzlich. »Mein lieber Rudolf, auch hier hat sich in den letzten Jahren
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