Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Fahrertür. »Ich fahre seit fünfzig Jahren unfallfrei, im Gegensatz zu vielen anderen. Aber ich werde mich hüten, irgendwelche Namen zu nennen. Liebes, setz dich endlich rein, die Tür ist offen.«
Ich bin mir nicht sicher, ob uns die Leute wegen des Autos nachstarren oder vielleicht doch eher wegen Friedas Fahrstil. Sie hasse schnelles Fahren, erzählt sie, bei gemächlichem Dahingleiten sehe man doch viel mehr. Zweifelhaft, dass die Autofahrer hinter uns das ebenso empfinden. Jedenfalls wird gehupt und gehupt.
»Diese Hektik heutzutage, kein Wunder, dass alle Welt zum Psychiater rennt«, stellt Frieda kopfschüttelnd fest und fährt gleich noch einen Tick langsamer, denn sie hat in einem Vorgarten einen wunderschönen gelben Hibiskus entdeckt. Ihrer habe leider Läuse, erfahre ich, sie experimentiere mit Marienkäfern, weil das bekanntlich sehr umweltfreundlich sei, aber bisher habe sie bedauerlicherweise wenig Erfolg. Sie gibt behutsam Gas, während die Kolonne hinter uns wächst und wächst. An der Gabelung zur Zollenreuter Straße können allerdings alle aufatmen; wir fahren nämlich rechts ran.
»Dorothea, siehst du da vorn das Schild
Auto-Huber
? Moni wohnt im Haus dahinter, aber wir müssen noch ein Stückchen weiter. Die Parkplätze hier sind für mein Auto weniger geeignet.«
Darüber könnte man nun streiten – eine breite Straße, nur vereinzelt stehen Autos am Straßenrand –, aber Frieda hat
ihren
Parkplatz, den sie schon seit Jahren ansteuert. Und das hat sie auch jetzt vor, auch wenn es mittlerweile zu tröpfeln begonnen hat.
»Dir macht es doch nichts aus, die paar Meter zu laufen? Treibst du auch Sport in Berlin? Ich stelle mir das ja entsetzlich vor, in der Großstadt zu joggen, aber angeblich soll ja ...« Sie redet und redet, und ich hänge meinen Gedanken nach ...
Nirgendwo eine Klingel, stelle ich fest, als wir nach einem längeren Fußmarsch vor dem Häuschen hinter der Autowerkstatt stehen. Ich presse das Gesicht gegen die Milchglastür und sehe schemenhaft eine Gestalt am Tisch sitzen.
»Hallo?«, rufe ich und klopfe gegen die Scheibe. »Hallo?«
Die junge Frau in Jeans und ausgewaschenem T-Shirt, die uns daraufhin die Tür öffnet, könnte Monis Tochter sein. »Wir wollen zu Moni«, sage ich und lächle ausnehmend freundlich bei diesen Worten.
»Ach so, ich dachte, der Krankenwagen kommt endlich.« Die junge Frau späht in den Hof. »Keine Ahnung, warum das so lang dauert.«
»Krankenwagen?«, ruft Frieda. »Ich hoffe doch, es ist nichts Schlimmes passiert.«
»Nein, nein, nichts Schlimmes«, meint sie verlegen. »Moni kommt gleich. Sie können sich ja so lange ihre Bilder anschauen, wenn Sie mögen. Links sehen Sie ihre frühen Werke, und dort hinten, an der Treppe, finden Sie die beliebten Pferdebilder.«
Ich verkneife mir jede Frage nach Rudolf, starre stattdessen auf eines von Monis frühen Werken mit sehr viel Lila und noch mehr Rot. Es könnte sich um ein Schiff im Sonnenuntergang handeln, oder hat es vielleicht doch eher mit der schwäbischen Fasnet zu tun? ... Je länger ich hinschaue, umso mehr tanzende Hexen glaube ich zu erkennen. Und umso bekannter kommt mir das Motiv vor – was auch immer es sein mag. Ich trete einen Schritt zurück und bin mir sicher: Genau das gleiche Bild hat Rudolf erst vor kurzem gnadenlos verrissen – in Ravensburg in Wolfgangs Praxis.
Neben mir höre ich Frieda murmeln: »Äußerst expressiv. Mir tränen bereits die Augen.«
»Wollen Sie sich nicht setzen? Moni müsste wirklich gleich da sein.«
Frieda lässt sich dankbar auf dem zierlichen Biedermeiersofa neben dem Schreibtisch nieder. »Sie sind die Tochter?«, höre ich sie fragen.
Die junge Frau, inzwischen wieder am Computer, schaut hoch. »Nein, ich schreibe hier nur meine Abschlussarbeit. Ich studiere Kunstgeschichte. Ich heiße übrigens Gwendolyn.«
»Und schreiben über Monis Kunstwerke?«, ruft Frieda erstaunt.
Gwendolyn kichert. »Das jetzt nicht gerade. Ich schreibe über Chagall. Moni ist meine Patentante, und sie hat mir erlaubt, ihren Computer zu benutzen, weil meiner ständig abstürzt.«
Frieda gibt sich sofort als große Bewunderin Chagalls zu erkennen, sie liebe seine Kirchenfenster, und im Nu unterhalten sich die beiden höchst angeregt. Während ich mich zunehmend frage, ob Friedas Plan wirklich so clever ist, wie er bei uns im Wohnzimmer noch geklungen hat:
Wir statten Moni einen netten Besuch ab, schauen uns ihre Bilder an, vielleicht kaufe ich ihr sogar
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