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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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eines ab. Und dann mache ich ganz nebenbei unserer Freundin deutlich, dass sie auf fremdem Terrain wildert. Was bitteschön kein anständiger Mensch tut. Ich werde ihr unmissverständlich erklären, dass es sich hierbei um eine grundlegende Frage von Anstand und Moral handelt
.
    Ich bin mir allerdings nicht mehr so sicher, ob Moni sich tatsächlich durch einen Appell an Anstand und Moral von Rudolf abbringen lässt, vor allem, als ich das nächste Bild betrachte. Dieses Mal sind es weniger die Farben, die mich stören – ich habe mich inzwischen an Rot und Lila im Übermaß gewöhnt –, es ist eher das Motiv: ein Paar (
er
in Rot,
sie
in Lila gemalt) in recht eindeutiger Pose. Und prompt muss ich an Rudolf denken. Was er wohl gerade macht? Ich finde, wir sollten jetzt endlich handeln!
    Aber Frieda sitzt immer noch auf dem Sofa und ist inzwischen gesprächsmäßig beim späten Picasso angekommen. Ein knarzendes Geräusch von der schmalen Holztreppe unterbricht sie. Moni, in einem weißen Minikleidchen, vermutlich aus Stretch, jedenfalls hauteng, kommt heruntergetänzelt. Aber unter ihrer Schwimmbadbräune wirkt sie merkwürdig blass und angespannt.
    »Gwendy, frag no amol beim Arzt nach!«, ruft sie. »Und wenn hundert Mal Schlossfest isch, der kann gfälligst endlich vorbeikomme.« Erst dann scheint sie Frieda und mich zu bemerken, denn sie breitet die Arme aus und kommt mit einem strahlenden Lächeln auf uns zu. »Ja Doro, jetzt bin i aber scho fei froh, dass du da bisch! Gell, dr Rudolf hat di glei agrufe? Es tut mir von Herze loid, dass es so dumm glaufe isch. Ich sag no, pass auf, aber da isch des Oglick auch scho passiert. Interessiersch dich für meine Bilder? Oder dei Tante vielleicht?«
    »Was meinst du mit
dumm gelaufen
? Was ist denn passiert?«, frage ich mit klopfendem Herzen. Ich rede viel zu laut, aber ich bin jetzt in höchstem Maß beunruhigt, Frieda neben mir offensichtlich auch, so nervös, wie sie mit ihrem Autoschlüssel klimpert.
    »Wenn ihr dia ganz neie Bildr sähe wellet, dia hänget do hinta«, sagt Moni, ohne auf meine Frage einzugehen. »I dät au an Sonderpreis mache, aus alter Freindschaft sozusage.«
    »Erklär mir lieber, was du mit
Unglück
gemeint hast!«, rufe ich. »Und wo ist überhaupt Rudolf?«
    »Mein Gott, etzt reg di doch it so auf!«, sagt Moni missmutig. »Geh halt nauf ins Atelier, dann siehsch scho selber. So schlimm kas au it sei, wenn er di no hat anrufen könne, und außerdem kommt sowieso glei dr Krankewage.«
    Schlaganfall? Herzinfarkt? Hat Rudolf nicht neulich abends über leichte Schmerzen im Brustkorb geklagt? Ich renne die Treppe hoch, bin wie von Sinnen vor Angst (mein Gott, unsere Beziehung ist zu Ende, bevor sie richtig angefangen hat!), höre wie aus weiter Entfernung Moni rufen: »Zieh abr gfällischt deine Schuh aus, des isch fei a teure Holztrepp und die isch empfindlich, was Absätz agoht.«
    Hinter der angelehnten Tür oben ist kein Laut zu hören. Ich atme tief durch, suche nach einem positiv besetzten Bild, um mich gegen das zu wappnen, was mich nun erwartet. Aber so sehr ich mich auch anstrenge: Vor meinem inneren Auge sehe ich nur Tod und Zerstörung.
    »Ich bin bei dir, Liebes«, flüstert Frieda mir zu und nimmt meine Hand. Frieda ist es schließlich auch, die die Tür aufstößt. In einer merkwürdigen Klarheit registriere ich jede Einzelheit des Ateliers: das diffuse Licht, die Staffelei, den Hocker daneben, die Kiste mit Farbtuben und Pinseln, den Kleiderständer, der mir sonderbar deplatziert vorkommt, Kaffeebecher auf einem Tablett, das hölzerne Podest, und auf dem Boden daneben der nackte Mann, die Augen geschlossen, seltsam gekrümmt, regungslos.
    Rudolf!
    Ich erwache erst aus meiner Erstarrung, als ich ihn fragen höre: »Wie lange dauert das denn noch mit dem Arzt?«
    Mit Frieda sitze ich wenig später auf dem Sofa im Erdgeschoss. Moni ist im Nebenzimmer verschwunden (»I muss mi erscht amol beruhige«, hatte sie gemurmelt), und wir warten darauf, vom Notarzt, der vor wenigen Minuten endlich gekommen ist und Rudolf untersucht, Genaueres zu erfahren.
    »Soll ich Ihnen einen Schnaps bringen?«, fragt Gwendolyn besorgt. »Nach dem Schreck.«
    Ich schüttle den Kopf, aber Frieda meint, das sei jetzt genau das Richtige, und sie bitte darum, wenn es nicht allzu viele Umstände mache.
    »Überhaupt nicht! Ich muss nur schnell rüber ins Haus und schauen, was der Papa so an Schnaps dahat«, erwidert Gwendolyn. »Und können Sie bitte Moni

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