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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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Klippen setzt, könnte der Gesang deines Blutes mich  – und dich  – ins Verderben ziehen.« Er sprach so leise und eindringlich, dass ich die Worte direkt in meinem Kopf zu hören meinte.
    Unendlich langsam wanderten die Lippen des Vampirs über meinen Kiefer. Jedes Mal, wenn mich sein Mund berührte, vereiste die Stelle und begann gleich darauf zu brennen, sobald das Blut an die Haut zurückfloss.
    »Matthew«, hauchte ich gegen den Kloß in meiner Kehle an. Ich schloss die Augen, erwartete seine Zähne an meinem Hals zu spüren und konnte  – und wollte  – mich dennoch nicht bewegen.
    Stattdessen senkten sich Matthews hungrige Lippen auf meine. Seine Arme schlossen mich ein, und seine Fingerspitzen wiegten meinen Kopf. Meine Lippen öffneten sich seinem Kuss, meine Hände waren zwischen meiner und seiner Brust gefangen. Unter meiner Handfläche spürte ich, wie sein Herz einmal fest schlug.
    Dieser eine Herzschlag veränderte den Kuss. Matthew blieb genauso fordernd, doch der Hunger, mit dem er mich berührte, bekam einen bittersüßen Beigeschmack. Seine Hände wanderten langsam nach vorn, bis er mein Gesicht umfasste, dann löste er sich widerwillig von mir. Zum ersten Mal hörte ich einen leisen, sehnsüchtigen Laut, der mit einem menschlichen Atemzug nicht zu vergleichen war. Es waren nur winzige Mengen an Sauerstoff, die durch die mächtige Lunge des Vampirs geleitet wurden.
    »Ich habe deine Angst ausgenutzt. Das hätte ich nicht tun dürfen«, flüsterte er.
    Ich hatte die Augen immer noch geschlossen, und ich fühlte mich immer noch benebelt, jetzt durch seinen Zimt- und Nelkenduft, der das Veilchenaroma des Weines verdrängt hatte. Rastlos wand ich mich in seinem Griff.
    »Bleib so«, befahl er harsch. »Ich weiß nicht, ob ich mich beherrschen kann, wenn du dich jetzt bewegst.«
    Er hatte mich im Labor gewarnt, dass unsere Beziehung etwas von
der zwischen Beute und Raubtier hatte. Jetzt sollte ich mich für ihn totstellen, damit das Raubtier in ihm das Interesse an mir verlor.
    Aber ich war nicht tot.
    Ich öffnete die Augen. Der bohrende Blick sprach eine eindeutige Sprache. Er war konzentriert, hungrig. Matthew reagierte in diesem Augenblick rein instinktiv.
    Aber ich hatte auch Instinkte.
    »Bei dir bin ich sicher.« Ich formte die Worte mit eisigen und brennenden Lippen, die zum ersten Mal den Kuss eines Vampirs gekostet hatten.
    »Eine Hexe  – sicher bei einem Vampir? Verlass dich nicht darauf. Es würde nur einen Augenblick dauern. Du könntest mich nicht aufhalten, wenn ich zuschlagen würde, und ich könnte mich genauso wenig bremsen.« Unsere Blicke trafen und verbanden sich, ohne dass einer von uns geblinzelt hätte. Matthew gab ein leises, überraschtes Brummen von sich. »Wie mutig du bist.«
    »Ich war noch nie besonders mutig.«
    »Dass du dir in meinem Labor Blut abnehmen lässt, wie du dem Blick eines Vampirs standhältst, wie du die anderen Geschöpfe aus der Bibliothek vertrieben hast, sogar die Tatsache, dass du Tag für Tag dorthin zurückkehrst und dich um keinen Preis davon abhalten lässt, das zu tun, was du möchtest  – all das beweist deinen Mut.«
    »Ehrlich gesagt ist das reine Sturheit.« Sarah hatte mir vor ewigen Zeiten den Unterschied erklärt.
    »Ich habe schon öfter so mutige Wesen beobachtet  – hauptsächlich Frauen«, fuhr Matthew fort, als hätte ich nichts gesagt. »Wir Männer sind nicht so mutig. Unsere Entschlusskraft wird aus Angst geboren. Sie ist vorgespielte Tapferkeit.«
    Sein Blick huschte über mich hinweg und zauberte Schneeflocken auf meine Haut, die bei ihrem Auftreffen angenehm kühl zerschmolzen. Ein kalter Finger hob sich und nahm eine Träne von meinen Wimpern ab. Er sah mich traurig an, setzte mich sanft auf den Stuhl und ging neben mir in die Hocke, um dann eine Hand auf mein Knie und die andere schützend über die Armlehne des Flechtstuhles zu
legen. »Versprich mir, dass du nie mit einem Vampir  – nicht einmal mit mir  – Witze darüber machst, wie Blut schmeckt oder wie du schmecken könntest.«
    »Entschuldige«, flüsterte ich und zwang mich, den Blick nicht abzuwenden.
    Er schüttelte den Kopf. »Du hast mir schon erklärt, dass du nicht viel über Vampire weißt. Vor allem musst du begreifen, dass kein Vampir immun gegen diese Versuchung ist. Vampire mit einem Gewissen bringen viel Zeit damit zu, sich möglichst nicht vorzustellen, wie die Menschen schmecken. Wenn du einem ohne Gewissen begegnen

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