Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
Vom Netzwerk:
bereit, etwas Wundervolles zu kosten?«, fragte er. Ich nickte. »Das ist ein Château Margaux aus einem exzellenten Jahrgang. Manche halten ihn für den besten Rotwein, der je gekeltert wurde.«
    Wir nahmen unsere Gläser, und ich ahmte jede von Matthews Bewegungen nach. Er steckte seine Nase in sein Glas und ich meine in meines. Veilchenduft stieg mir entgegen. Der erste Schluck war, als
würde ich Samt trinken. Dann schmeckte ich Milchschokolade, Kirschen und eine Flut von Aromen, die rein gar nichts mit Wein zu tun hatten und längst vergessen geglaubte Erinnerungen wachriefen wie die an das Arbeitszimmer meines Vaters, nachdem er darin geraucht hatte, oder an die Bleistiftspäne in meinem Spitzer, als ich in der zweiten Klasse war. Das Letzte, was mir auffiel, war eine leicht stechende Note, die mich an Matthew erinnerte.
    »Der schmeckt wie du!«, sagte ich.
    »Inwiefern?«, fragte er.
    »Stechend.« Prompt lief ich bis unter die Haarwurzeln rot an.
    »Einfach nur stechend?«
    »Nein. Im ersten Moment dachte ich, dass es nach Blumen schmeckt  – Veilchen  –, weil es auch so roch. Aber dann schmeckte ich alles Mögliche heraus. Was schmeckst du darin?«, fragte ich, um von meinem Fauxpas abzulenken.
    Er schnupperte, ließ den Wein kreisen und kostete. »Veilchen  – da bin ich ganz deiner Meinung. Diese lila Veilchen, die mit Zucker bestäubt werden. Elizabeth Tudor liebte kandierte Veilchen und ruinierte sich damit die Zähne.« Er nahm noch einen Schluck. »Zigarrenrauch aus einer guten Zigarre, so wie sie früher im Marlborough Club geraucht wurden, wenn der Prince of Wales vorbeikam. Wilde Brombeeren aus der Hecke vor den Ställen der Old Lodge und in Brandy eingelegte rote Johannisbeeren.«
    Einen Vampir dabei zu beobachten, wie er seine Sinne einsetzte, gehörte bestimmt zu dem Surrealsten, was man erleben konnte. Nicht genug, dass Matthew Dinge sehen und hören konnte, die mir verborgen blieben  – wenn er etwas wahrnahm, dann mit absoluter Präzision. Es war nicht irgendeine Brombeere  – sondern eine ganz bestimmte Brombeere von einem ganz bestimmten Strauch und aus einer ganz bestimmten Zeit.
    Matthew trank weiter seinen Wein, und ich aß mein Kalbfleisch auf. Anschließend griff ich mit einem zufriedenen Seufzen nach meinem Weinglas, drehte den Stiel zwischen den Fingern und sah zu, wie sich das Kerzenlicht im Kelch fing.

    »Was glaubst du, wie ich schmecken würde?«, fragte ich ihn verspielt.
    Matthew schoss aus seinem Stuhl hoch; sein Gesicht war noch weißer als sonst und wutverzerrt. Seine Serviette fiel unbemerkt zu Boden. Auf seiner Stirn pulsierte kurz eine Ader, dann glättete sich die Haut wieder.
    Das hätte ich wohl besser nicht gefragt.
    Bevor ich auch nur blinzeln konnte, war er neben mir und zog mich aus meinem Stuhl hoch. Seine Finger bohrten sich in meine Ellbogen.
    »Über eine Vampirlegende haben wir noch nicht gesprochen, oder?« Sein Blick war mir fremd, sein Gesicht machte mir Angst. Ich versuchte mich aus seinem Griff zu winden, aber seine Finger packten nur noch fester zu. »Die von dem Vampir, der so von einer Frau verhext wird, dass er sich nicht mehr dagegen wehren kann.«
    In Gedanken spulte ich im Schnelldurchlauf die letzten Minuten ab. Er hatte mich gefragt, was ich schmeckte. Ich hatte ihn geschmeckt. Dann hatte er mir erzählt, was er schmeckte, und ich hatte gesagt … »Ach, Matthew«, flüsterte ich.
    »Fragst du dich wirklich, wie es wäre, wenn ich dich kosten würde?« Matthews Stimme senkte sich zu etwas Tiefem, Gefährlichem. Einen Moment fühlte ich mich abgestoßen.
    Doch bevor sich das Gefühl festsetzen konnte, ließ er meine Arme los. Mir blieb keine Zeit zu reagieren oder zurückzuweichen. Matthew hatte bereits die Hand von unten in mein Haar geschoben und strich mit den Daumen über meinen Kiefer. Ich war schon wieder gefangen, und plötzlich breitete sich eine tiefe innere Ruhe in mir aus, die von seiner kühlen Berührung auszuströmen schien. Hatten mich nur zwei Gläser Wein betrunken gemacht? Hatte er mich unter Drogen gesetzt? Wie ließ sich sonst dieses Gefühl erklären, dass ich mich nicht befreien konnte?
    »Es ist nicht nur dein Duft, der mich so anzieht. Ich kann hören , wie dein Hexenblut in deinen Adern pulsiert.« Matthews kalte Lippen strichen über mein Ohr, und ich spürte seinen süßen Atem. »Hast du
gewusst, dass das Blut einer Hexe singt? Wie der Sirenengesang, der den Seemann anlockt, bis er sein Schiff auf die

Weitere Kostenlose Bücher