Seelen der Nacht
gerichtet, und ließ die Finger weiter über die Tasten fliegen.
Die Lippen angestrengt zusammenpressend, beugte ich mich wieder über meinen Text. Der Autor hatte auf jede Bibelpassage Bezug genommen, die mit der alchemistischen Geschichte von Tod und Schöpfung zu tun hatte, und alles umgeformt und zusammengefügt. Ich zog die Bibel über den Tisch zu mir her. Sie war in schwarzes Leder gebunden, und auf dem Umschlag prangte ein goldenes Kreuz. Ich schlug das Markusevangelium auf und überflog Kapitel 16. Da kam die Stelle, Markus 16:3: »Und sie sprachen zueinander: Wer wird uns den Stein von der Tür der Gruft wegwälzen?«
»Gefunden?«, erkundigte Matthew sich freundlich.
»Ja.«
»Gut.«
Wieder wurde es still im Raum.
»Wo finde ich die Stelle über den Morgenstern?« Manchmal war mein heidnischer Hintergrund beruflich eine echte Belastung.
»Offenbarung 2, Vers 28.«
»Danke.«
»Gern geschehen.« Von seinem Schreibtisch drang ein ersticktes Lachen zu mir herüber. Ich beugte mich über das Manuskript und ignorierte ihn.
Nachdem ich zwei Stunden lang winzige gotische Handschriften entziffert und nach den dazu passenden Bibelstellen gefahndet hatte, war ich nur zu gern bereit, reiten zu gehen, sobald Matthew vorschlug, eine Pause zu machen. Als Bonus versprach er mir zu erzählen, wie er
im siebzehnten Jahrhundert den Physiologen William Harvey kennengelernt hatte.
»Das ist keine besonders interessante Geschichte«, hatte er zuvor noch protestiert.
»Für dich vielleicht nicht. Aber für eine Wissenschaftshistorikerin? Näher werde ich dem Mann kaum kommen, der herausgefunden hat, dass das Herz wie eine Pumpe arbeitet.«
Seit wir auf Sept-Tours angekommen waren, hatten wir die Sonne nicht viel gesehen, aber das störte uns beide nicht. Matthew wirkte seitdem viel entspannter, und ich war zu meiner Überraschung froh, Oxford verlassen zu haben. Gillians Drohungen, das Foto von meinen Eltern, selbst Peter Knox – all das trat mit jeder Stunde weiter in den Hintergrund.
Während wir durch den Garten gingen, plauderte Matthew angeregt über ein Arbeitsproblem, bei dem es um einen DNA-Strang ging, der eigentlich in einer Blutprobe vorhanden sein sollte, es aber nicht war. Er skizzierte ein Chromosom in die Luft, um mir die Schwierigkeiten zu verdeutlichen, und wies auf die betreffende Stelle, und ich nickte gehorsam, auch wenn mir verschlossen blieb, worum genau es ging. Die Worte purzelten immer weiter aus seinem Mund, bis er irgendwann den Arm um meine Schulter legte und mich an seine Seite zog.
Wir bogen um eine Hecke. Vor dem Tor, durch das wir gestern geritten waren, stand ein Mann in Schwarz. So wie er am Stamm einer Kastanie lehnte, mit der Eleganz eines Leoparden auf der Lauer, konnte er eigentlich nur ein Vampir sein.
Matthew schob mich hinter sich.
Der Mann löste sich geschmeidig von der rauen Borke und kam auf uns zugeschlendert. Das bleiche Gesicht und die großen, dunklen Augen, die durch das Schwarz seiner Lederjacke, Jeans und Stiefel noch tiefer wirkten, ließen keinen Zweifel daran, dass er ein Vampir war. Diesem Vampir war es egal, ob jemand wusste, dass er anders war. Seine Wolfsmiene war der einzige Makel in dem ansonsten engelsgleichen Antlitz mit den symmetrischen Zügen und den dunklen Haaren, die sich bis auf seine Schultern lockten. Er war kleiner und leichter als
Matthew, trotzdem strahlte er nicht zu unterschätzende Kraft aus. Bei seinem Blick gefror mir das Fleisch unter der Haut, und die Kälte breitete sich aus wie ein Blutfleck.
»Domenico«, begrüßte Matthew ihn ruhig, allerdings lauter als sonst.
»Matthew.« Der Vampir warf Matthew einen Blick zu, aus dem kalter Hass sprach.
»Wir haben uns lange nicht gesehen.« Matthew blieb so gelassen, als wäre ein unangemeldeter Vampir auf Besuch das Normalste auf der Welt.
Domenico sah ihn nachdenklich an. »Wann war das noch mal? In Ferrara? Als wir beide gegen den Papst kämpften – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, wenn ich mich recht erinnere. Ich versuchte Venedig zu retten. Du versuchtest die Tempelritter zu retten.«
Matthew nickte bedächtig, ohne den Blick von dem Vampir zu nehmen. »Ich glaube, du hast recht.«
»Danach, mein Freund, warst du wie vom Erdboden verschwunden. Dabei haben wir in unserer Jugend so viele Abenteuer zusammen erlebt: auf den Ozeanen, im Heiligen Land. Venedig war für einen Vampir wie dich immer voller Vergnügungen, Matthew.« Scheinbar besorgt schüttelte
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