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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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Die zweite Hälfte bewältigte ich mit blanker Willenskraft. Als ich den Fuß über die letzte Stufe hob, fand ich mich auf einem flachen Dach wieder, von dem aus man in alle Richtungen schauen konnte. Hier oben wehte eine Brise, die meine geflochtenen Haare lockerte und die feuchte Luft um mich herum zum Tanzen brachte.
    Ysabeau schritt sofort zu einem Fahnenmast, der sich noch einmal vier Meter in den Himmel erhob. Sie hisste ein gegabeltes schwarzes Banner mit einem silbernen Uroboros darauf. Der Stoff entfaltete sich im Zwielicht, bis die Schlange mit dem glänzenden Schwanz in ihrem Maul deutlich zu sehen war. Ich beugte mich zwischen zwei Zinnen über die Brüstung, und Domenico sah zu mir auf.
    Im nächsten Moment wurde auf einem Gebäude im Ort ein ähnliches Banner gehisst, und eine Glocke schlug an. Männer und Frauen traten aus den Häusern, Bars, Geschäften und Büros und wandten sich Sept-Tours zu, wo das uralte Symbol für Beständigkeit und Wiedergeburt im Wind flatterte. Ich sah Ysabeau an, und die Frage stand mir deutlich im Gesicht.
    »Unser Familienwappen und eine Warnung an das Dorf, auf der Hut zu sein«, erklärte sie. »Wir hissen das Banner nur, wenn Fremde im Schloss sind. Die Dorfbewohner haben sich daran gewöhnt, unter Vampiren zu leben, aber auch wenn sie von uns nichts zu befürchten haben, bewahren wir das Banner für Augenblicke wie diesen auf. Die Welt ist voller Vampire, denen man nicht trauen kann, Diana. Domenico Michele ist einer von ihnen.«
    »Das hätten Sie mir nicht zu sagen brauchen. Wer zum Teufel ist er?«
    »Ein uralter Freund von Matthew«, murmelte Ysabeau, den Blick fest auf ihren Sohn geheftet. »Und genau das macht ihn zu einem äußerst gefährlichen Feind.«
    Ich sah wieder zu Matthew hinab, der immer noch mit Domenico sprach, wobei beide Abstand hielten. Plötzlich trafen sich die beiden in einem hektischen grauschwarzen Wirbel, und im nächsten Moment
flog der Venezianer gegen den Kastanienbaum, an dem er gelehnt hatte, als wir aus dem Tor getreten waren. Ein lautes Krachen hallte über das Château.
    »Gut gemacht«, murmelte Ysabeau.
    »Wo ist Marthe?« Ich sah über die Schulter zur Treppe.
    »Unten in der Halle. Nur für alle Fälle.« Ysabeaus scharfer Blick lag wie gebannt auf ihrem Sohn.
    »Würde Domenico tatsächlich hier heraufkommen und mir die Kehle aufreißen?«
    Ysabeau bedachte mich mit ihrem schwarzen, kalten Blick. »Das wäre zu einfach, meine Liebe. Erst würde er mit Ihnen spielen. Er spielt immer erst mit seiner Beute. Und Domenico liebt es, sich vor Publikum zu produzieren.«
    Ich schluckte schwer. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
    »Bestimmt, wenn Sie tatsächlich über solche Kräfte verfügen, wie Matthew meint. Ich habe festgestellt, dass Hexen sehr gut darin sind, sich zu schützen, wenn sie sich ein wenig Mühe geben und es ihnen nicht an Mut fehlt«, sagte Ysabeau.
    »Was ist das für eine Kongregation, von der Domenico gesprochen hat?«, fragte ich.
    »Ein neunköpfiger Rat  – mit jeweils drei Mitgliedern aus den Orden der Dämonen, Hexen und Vampire. Er wurde während der Kreuzzüge ins Leben gerufen, um zu verhindern, dass die Menschen auf uns aufmerksam wurden. Wir waren damals recht unbedacht und mischten uns leichtfertig in ihre Politik und in andere menschliche Verrücktheiten ein.« Ysabeau klang verbittert. »Ehrgeiz, Stolz und gierige Geschöpfe wie Michele, die nie zufrieden waren mit ihrem Los und ständig mehr wollten, zwangen uns, den Pakt zu schließen.«
    Die Vorstellung, dass Matthew und ich an Verabredungen gebunden sein sollten, die irgendwelche mittelalterlichen Kreaturen getroffen hatten, war lächerlich.
    Die Brise löste ein paar Strähnen von Ysabeaus schweren, honigblonden Haaren und wehte sie um ihr Gesicht. »Sobald wir uns untereinander mischten, haben wir Verdacht erregt. Sobald wir uns für
ihre Angelegenheiten interessierten, weckte unsere Klugheit ihr Misstrauen. Diese armen Geschöpfe sind nicht besonders helle, aber sie sind auch nicht ganz dumm.«
    »›Mischen‹ heißt in diesem Fall: keine gemeinsamen Abendessen oder Tänze.«
    »Keine Abendessen, keine Tänze  – auch keine Küsse oder Schlaflieder«, bemerkte Ysabeau spitz. »Und was nach dem Küssen und Tanzen kommt, ist erst recht verboten. Bevor der Pakt geschlossen wurde, platzten wir fast vor Arroganz. Damals gab es viel mehr von uns, und wir hatten uns angewöhnt, uns zu nehmen, was uns gefiel.«
    »Was deckt dieses

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