Seelen der Nacht
Domenico den Kopf. Der Vampir im Tor des Châteaus sah wirklich aus wie ein Venezianer – oder wie eine unheilige Kreuzung zwischen einem Engel und einem Teufel. »Warum hast du mich nie besucht, wenn du aus Frankreich in eines deiner vielen Verstecke fliehen musstest?«
»Falls ich damals irgendwen beleidigt habe, Domenico, ist das gewiss zu lange her, als dass es uns heute noch beschäftigen sollte.«
»Vielleicht, aber eines hat sich in all den Jahren nicht geändert: Immer wenn es irgendwo eine Krise gibt, ist ein de Clermont in der Nähe.« Er sah mich an, und etwas wie Gier leuchtete in seinem Gesicht auf. »Das muss die Hexe sein, von der ich so viel gehört habe.«
»Diana, geh wieder ins Haus«, befahl Matthew mir scharf.
Ich konnte die Gefahr spüren, aber ich zögerte, weil ich ihn um keinen Preis allein lassen wollte.
»Geh!«, wiederholte er, und diesmal war seine Stimme scharf wie ein Schwert.
Unser Vampirbesucher erblickte etwas hinter mir und begann zu lächeln. Eine eisige Brise wehte an mir vorbei, und ein kalter, harter Arm hakte sich in meinen.
Domenico machte einen formvollendeten Kratzfuß. »Madame, es ist mir eine Freude, Sie bei so guter Gesundheit zu sehen. Woher wussten Sie, dass ich hier bin?«
»Ich habe dich gerochen«, erklärte Ysabeau verächtlich. »Du kommst hierher, in mein Haus, ohne eingeladen worden zu sein? Was würde deine Mutter sagen, wenn sie wüsste, dass du dich so benimmst?«
»Wenn meine Mutter noch am Leben wäre, könnten wir sie fragen«, antwortete Domenico mit kaum verhohlener wilder Wut.
»Maman, bring Diana ins Haus.«
»Natürlich, Matthew. Dann könnt ihr euch ungestört unterhalten.« Ysabeau machte kehrt und zog mich mit sich fort.
»Ihr seid mich schneller wieder los, wenn ihr mich meine Botschaft überbringen lasst«, rief Domenico uns nach. »Falls ich noch einmal kommen muss, dann bestimmt nicht allein. Der heutige Besuch ist eine Geste der Höflichkeit dir gegenüber, Ysabeau.«
»Sie hat das Buch nicht«, wies Matthew ihn scharf zurecht.
»Ich bin nicht auf das verfluchte Hexenbuch aus, Matthew. Das können sie ruhig behalten. Mich hat die Kongregation geschickt.«
Ysabeau atmete langsam und tief aus, so als hätte sie tagelang die Luft angehalten. Eine Frage blubberte in mir hoch, doch Ysabeau brachte mich mit einem Blick zum Schweigen.
»Es überrascht mich, Domenico, dass du bei deinen vielen neuen Aufgaben noch Zeit hast, alte Freunde zu besuchen.« Aus Matthews Stimme sprach tiefste Verachtung. »Warum vergeudet die Kongregation ihre Zeit damit, den de Clermonts einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, wenn gleichzeitig Vampire überall in Europa blutleere Leichen hinterlassen, die von den Menschen gefunden werden?«
»Es ist Vampiren nicht verboten, sich von Menschen zu ernähren – auch wenn ich diese Sorglosigkeit missbillige. Wie du weißt, folgt uns
Vampiren der Tod auf Schritt und Tritt.« Domenico tat die brutalen Morde mit einem Achselzucken ab, und mir jagte ein eisiger Schauer über den Rücken, als ich erkannte, wie wenig ihn das zerbrechliche Leben von uns Warmblütern interessierte. »Dagegen verbietet der Kodex eindeutig jede Verbindung zwischen einem Vampir und einer Hexe.«
Ich drehte mich um und starrte Domenico an. »Was haben Sie da gesagt?«
»Sie kann sprechen!« Domenico klatschte in ironischer Freude in die Hände. »Warum soll die Hexe nicht an unserer Unterhaltung teilhaben?«
Matthew fasste nach hinten und zog mich nach vorn. Ysabeau hatte mich unter dem anderen Arm eingehakt. Wir bildeten eine kurze, feste Kette aus Vampir, Hexe und Vampirin.
»Diana Bishop.« Domenico verbeugte sich wieder. »Es ist mir eine Ehre, eine Hexe aus einer so alten und angesehenen Familie kennenzulernen, wo es doch nur noch wenige so alte Familien gibt.« Jedes Wort klang nach einer Drohung.
»Wer sind Sie?«, fragte ich. »Und warum sollte es Sie interessieren, mit wem ich meine Zeit verbringe?«
Der Venezianer sah mich neugierig an, dann legte er den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. »Man hat mich gewarnt, dass Sie ebenso streitbar seien wie Ihr Vater, aber ich wollte das nicht glauben.«
Meine Finger begannen leise zu kribbeln, und Ysabeau verstärkte kaum merklich ihren Griff.
»Habe ich die Hexe verärgert?« Domenicos Blick haftete an Ysabeaus Arm.
»Sag uns, was du zu sagen hast, und verschwinde dann von unserem Grund«, sagte Matthew.
»Ich heiße Domenico Michele. Ich kenne Matthew, seit ich
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