Seelen der Nacht
Räumen stieß Ysabeau einen langen, kraftvollen Fluch aus, den man ihrem fein geschnittenen Mund nie zugetraut hätte. »Ich trage sie hinauf«, beschloss sie, nachdem sie ausgiebig ihren Sohn verwünscht hatte, dazu die Naturgewalten und die Mächte des Universums sowie zahllose nicht näher genannte Individuen zweifelhafter Abstammung, die diesen Turm erbaut hatten. Ysabeau hob meinen viel größeren Körper ohne Schwierigkeiten an. »Warum er die Treppe so eng gebaut hat – und in zwei verschiedenen Läufen – ist und bleibt mir ein Rätsel.«
Marthe steckte meine nassen Haare in Ysabeaus Ellenbeuge und zuckte mit den Achseln. »Natürlich um den Aufstieg schwerer zu machen. Er will es sich immer möglichst schwer machen. Und allen anderen auch.«
Niemand hatte daran gedacht, am Spätnachmittag hier heraufzukommen, um die Kerzen anzuzünden, doch das Feuer glomm immer noch, dadurch war der Raum auch halbwegs warm geblieben. Marthe verschwand ins Bad, und ich sah erschrocken auf meine Finger, sobald ich das Wasser laufen hörte. Ysabeau warf zwei riesige Scheite auf den Rost, als wären es dünne Zweige, und riss einen langen Span ab, mit dem sie die Kohlen schürte, bis sie wieder brannten, danach entzündete sie innerhalb weniger Sekunden ein ganzes Dutzend Kerzen. Im warmen Kerzenschein untersuchte sie mich akribisch von Kopf bis Fuß.
»Wenn Sie krank werden, wird er mir das nie verzeihen«, sagte sie, griff nach meinen Händen und besah sich die Finger. Sie waren wieder bläulich verfärbt, aber diesmal nicht vor elektrischer Spannung. Jetzt waren sie blau vor Kälte und vom Wasser runzlig. Ysabeau rubbelte sie kraftvoll zwischen den Handflächen.
Immer noch so zitternd, dass meine Zähne klapperten, zog ich die Hände zurück und schlang sie um meinen Leib, um das letzte bisschen Wärme in meinem Körper zu halten. Ysabeau nahm mich erneut ohne Umschweife auf die Arme und trug mich ins Bad.
»Sie muss sofort ins Wasser«, befahl Ysabeau barsch. Der Raum war voller Dampf, und Marthe wandte sich von der Wanne ab, um mir beim Ausziehen zu helfen. Bald war ich nackt, und die beiden hoben mich, eine kalte Vampirhand in jeder meiner Achselhöhlen, ins heiße Wasser. Ich spürte das heiße Wasser wie einen elektrischen Schlag auf meiner durchfrorenen Haut. Unter einem Aufschrei versuchte ich aus Matthews tiefer Wanne zu klettern.
»Psst.« Ysabeau hielt mir die Haare aus dem Gesicht, während Marthe mich ins Wasser zurückdrückte. »Das wird Sie wärmen. Wir müssen die Kälte vertreiben.«
Marthe stand am einen Ende der Wanne Wache, Ysabeau am anderen, wo sie abwechselnd beruhigend auf mich einflüsterte oder leise vor sich hin summte. Es dauerte lange, bis das Zittern nachließ.
Irgendwann murmelte Marthe etwas auf Okzitanisch, in dem ich den Namen Marcus aufschnappte.
Ysabeau und ich sagten gleichzeitig: »Nein.«
»Ich komme schon wieder auf die Beine. Erzählen Sie Marcus nicht, was passiert ist. Matthew braucht das mit der Magie nicht zu erfahren. Noch nicht«, erklärte ich zähneklappernd.
»Wir brauchen nur noch etwas Zeit, um Sie wieder warm zu kriegen.« Ysabeau klang ganz ruhig, aber sie sah beunruhigt aus.
Langsam begann die Hitze die Veränderungen, die die Hexenflut in meinem Körper ausgelöst hatte, rückgängig zu machen. Marthe ließ immer wieder heißes Wasser nachlaufen, weil mein ausgekühlter Körper es so schnell abkühlte. Ysabeau nahm einen verbeulten Zinnkrug vom Fensterbrett, tauchte ihn ein und goss mir das Badewasser über Kopf und Schultern. Als mein Kopf wieder warm war, wickelte sie ein Handtuch darum und drückte mich bis zum Kinn ins Wasser.
Marthe eilte geschäftig zwischen Bad und Schlafzimmer hin und her und brachte Anziehsachen und weitere Handtücher. Kopfschüttelnd besah sie meine wenigen Kleider und die alten Yogasachen, die ich zum Schlafen mitgenommen hatte. Nichts davon erschien ihr warm genug.
Ysabeau legte den Handrücken an meine Wange und dann auf meinen Scheitel. Dann nickte sie.
Sie ließen mich aufstehen. Das von meinem Körper perlende Wasser erinnerte mich an das Dach des Wachturms, und ich bohrte die Zehen in die Fliesen, um mich dem heimtückischen Sog entgegenzustellen, den dieses Element ausübte.
Marthe und Ysabeau wickelten mich in Handtücher, die sie am Kamin vorgewärmt hatten und die leicht nach Holzrauch rochen. Im Schlafzimmer gelang es ihnen irgendwie, mich abzutrocknen, ohne dass dabei ein Zentimeter meiner Haut der
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