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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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vor mir, wie er, um Blanca und Lucas trauernd und völlig ratlos in seiner neuen Identität als Vampir, die Worte des zum Tode verurteilten Philosophen las. Ich schob das Buch an seinen Platz zurück und dankte im Stillen demjenigen, der ihm dieses Buch geschenkt hatte, um seinen Schmerz zu lindern.
    Der nächste Band war eine liebevoll illustrierte Handschrift der Genesis, der biblischen Schöpfungsgeschichte. Die starken Blau- und Rottöne sahen so frisch aus wie an dem Tag, an dem sie zu Pergament gebracht worden waren. Ein weiteres illustriertes Manuskript, diesmal eine Kopie von Dioskurides’ Pflanzenbuch, stand ebenfalls im obersten
Fach, daneben ein gutes Dutzend anderer Bibelbücher, mehrere Gesetzesbücher sowie ein griechisches Werk.
    Im Fach darunter sah es ähnlich aus  – größtenteils Bibelbücher, ein medizinisches Werk und eine sehr frühe Kopie einer Enzyklopädie aus dem siebten Jahrhundert. Sie stand für den Versuch von Isidor von Sevilla, das gesamte Wissen der Menschheit zu sammeln, was den neugierigen Matthew ungeheuer gereizt haben musste. Auf einem Folio stand groß MATHIEU und dazu die Worte meus liber   – mein Buch.
    Ich verspürte den gleichen Drang, die Buchstaben nachzufahren, wie bei meinem Kontakt mit Ashmole 782 in der Bodleian Library, aber meine Finger stockten kurz über dem Pergament. Damals hatte ich zu viel Angst vor der Aufsicht im Lesesaal und vor meiner eigenen Magie gehabt, als dass ich das Risiko eingegangen wäre. Jetzt fürchtete ich mich davor, etwas Unerwartetes über Matthew zu erfahren. Aber hier gab es keine Aufsicht, und meine Ängste waren bedeutungslos verglichen mit meinem Wunsch, den Vampir besser zu verstehen. Ich fuhr Matthews Namen nach, und ein scharfes, detailliertes Bild trat mir vor Augen.
    Er saß an einem schlichten Tisch am Fenster, genau wie heute, und kaute konzentriert an seiner Lippe, während er das Schreiben übte. Matthews lange Finger umklammerten einen Federkiel, und um ihn herum lagen zahllose Pergamente, die mit den unbeholfenen Versuchen, seinen Namen zu schreiben oder Bibelpassagen zu kopieren, bekrakelt waren. So wie Marthe mir geraten hatte, kämpfte ich nicht gegen die Vision an, sondern ließ sie kommen und gehen, und tatsächlich war die Erfahrung bei Weitem nicht so verstörend wie in der vorangegangenen Nacht.
    Nachdem meine Finger so viel wie möglich enthüllt hatten, stellte ich die Enzyklopädie zurück und arbeitete mich weiter durch die Bände in diesem Regalfach vor. Geschichtswerke, weitere Rechtsbücher, Titel über Medizin und Optik, daneben Bücher über griechische Philosophie und Rechnungslegung, die gesammelten Werke früher Kirchenmänner wie Bernard von Clairvaux, und romantische Rittergeschichten  – darunter eine über einen Ritter, der sich allwöchentlich
in einen Wolf verwandelte. Aber keines der Bücher verriet mir etwas Neues über die Lazarusritter. Ich verkniff mir ein frustriertes Knurren und kletterte vom Tisch herunter.
    Ich wusste nur wenig über die Ritterorden des Mittelalters, gerade mal, dass die Tempelritter berühmt gewesen waren dafür, dass sie als Erste aufs Schlachtfeld gestürmt waren und es als Letzte verlassen hatten. Viele von ihnen waren keinem König oder anderen weltlichen Herrscher ergeben gewesen, sondern ausschließlich dem Papst, sie hatten Kirchen, Schulen und Lepra-Krankenhäuser gebaut, und da Vampire wie Matthew mit Argusaugen auf ihre Ländereien und ihren Besitz achteten, waren sie wie geschaffen für die Rolle eines Aufpassers.
    Doch die Macht der Ritterorden hatte letztendlich zu ihrem Niedergang geführt. Monarchen und Päpste hatten ihnen ihren Reichtum und Einfluss geneidet. 1312 sorgten der französische König und der Papst dafür, dass der Orden der Tempelritter aufgelöst wurde, und entledigten sich damit der Bedrohung, die der größte und angesehenste Orden mittlerweile darstellte.
    Natürlich gab es zahllose Verschwörungstheorien. Eine so verästelte, komplexe Institution lässt sich nicht über Nacht abschaffen, und die übereilte Auflösung des Templerordens hatte Material für zahllose fantastische Geschichten über vagabundierende Kreuzritter und sagenhafte Geheimoperationen geliefert. Immer noch wurde nach Hinweisen auf die unglaublichen Schätze der Tempelritter gesucht. Dass niemand je herausgefunden hatte, wo sie abgeblieben waren, verstärkte den Reiz zusätzlich.
    Das Geld. Eine der ersten Lektionen, die jeder Historiker lernte, lautete: Folge

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