Seelen der Nacht
seinem Herzen zu liegen kam. Seine Finger strichen immer wieder durch mein Haar, bis ich schließlich eingeschlafen war.
Kurz vor der Morgendämmerung wurde ich von einem eigenartigen Geräusch geweckt, das neben mir aus dem Bett kam und sich anhörte, als würde Kies in einem Metallrohr herumrollen.
Matthew schlief tief und fest – und er schnarchte dabei. Schlafend sah er noch mehr aus wie eine Ritterstatue auf einem mittelalterlichen Grab. Ihm fehlte nur noch der Hund zu seinen Füßen und das Schwert, das er auf Bauchhöhe umfasst hielt.
Ich deckte ihn zu. Er rührte sich nicht. Auch als ich ihm das Haar aus dem Gesicht strich, atmete er regelmäßig weiter. Er reagierte nicht einmal, als ich ihn leicht auf den Mund küsste. Lächelnd betrachtete ich meinen wunderschönen Vampir, der wie ein Toter schlief, und hielt mich für das glücklichste Wesen auf diesem Planeten, als ich unter der Decke herausrutschte.
Draußen hingen immer noch tiefe Wolken am Himmel, aber am Horizont hatten sie sich so weit aufgelockert, dass eine Spur von Rot hinter den grauen Massen zu erkennen war. Vielleicht würde es heute tatsächlich schön werden, dachte ich, dehnte mich und drehte mich zu Matthew um. Er schlief tief und fest. Ich hingegen fühlte mich ausgeruht und eigenartig verjüngt. Eilig zog ich mich an, um in den Garten zu gehen, wo ich eine Weile allein sein wollte.
Als ich angezogen war, lag Matthew, der sonst nie schlief, immer noch friedlich schlummernd da. »Bevor du dich’s versiehst, bin ich wieder da«, flüsterte ich ihm zu und gab ihm einen Kuss.
Ich traf weder auf Marthe, noch auf Ysabeau. In der Küche nahm ich einen Apfel aus der Schale für die Pferde und biss hinein. Die knackige Frucht schmeckte wunderbar frisch.
Ich schlenderte gemütlich in den Garten, spazierte über die Kieswege und genoss den Duft der Kräuter und der im Morgenlicht leuchtenden weißen Rosen. Abgesehen von meinen modernen Kleidern hätte ich mich im sechzehnten Jahrhundert befinden können, so altertümlich wirkten die streng rechteckigen Beete in ihren Weidenumzäunungen, mittels derer die Hasen ferngehalten werden sollten – obwohl die Vampirbewohner des Châteaus sicherlich ein wirksameres Abschreckungsmittel waren als ein paar halbhohe gebogene Zweige.
Ich bückte mich und strich mit den Fingerspitzen über die Kräuter, die zu meinen Füßen wuchsen. Eines davon gehörte in Marthes Tee. Weinraute, erkannte ich zufrieden und war stolz, dass ich mir das gemerkt hatte.
Eine Windböe zog an mir vorbei und löste die eine Locke, die einfach nicht an ihrem Platz bleiben wollte. Ich schob sie mit den Fingern zurück, und im selben Moment riss mich ein Arm vom Boden.
Ich schoss so schnell himmelwärts, dass meine Ohren knackten.
Das leise Kribbeln auf meiner Haut bestätigte, was ich ohnehin wusste.
Wenn ich die Augen wieder aufmachte, würde ich einer Hexe ins Gesicht sehen.
29
D ie Augen meiner Entführerin waren strahlend blau, saßen leicht angeschnitten über hohen, starken Wangenknochen und wurden von einem Schopf platinblonder Haare umrahmt. Sie trug einen dicken, handgestrickten Rollkragenpullover und eng anliegende Jeans. Kein schwarzes Gewand, auch kein Besen, trotzdem war sie – unverkennbar – eine Hexe.
Mit einem verächtlichen Fingerschnippen erstickte sie meinen Schrei, bevor er sich Luft machen konnte. Dann schwenkte sie den Arm nach links und transportierte uns zum ersten Mal, seit sie mich aus dem Garten von Sept-Tours gepflückt hatte, eher waagerecht als senkrecht durch die Lüfte.
Matthew würde aufwachen und feststellen, dass ich verschwunden war. Er würde sich nie verzeihen, eingeschlafen zu sein, und mir nie verzeihen, dass ich allein in den Garten gegangen war. Wie blöd von dir , schimpfte ich mich.
»Das war es wirklich, Diana Bishop«, bestätigte die Hexe mit eigenartigem Akzent.
Ich knallte die imaginären Türen hinter meinen Augen zu, mit denen ich mich schon immer gegen die beiläufigen Invasionsversuche von Dämonen oder Hexen abgeschottet hatte.
Sie stieß ein silbernes Lachen aus, bei dem mir das Mark gefror. Verängstigt und mehr als hundert Meter über der Auvergne schwebend leerte ich so gut ich konnte meinen Geist, damit sie nichts von Belang vorfinden würde, wenn sie meine wackligen Verteidigungsmauern durchbrochen hatte. Dann ließ sie mich fallen.
Während mir der Boden entgegenstürzte, ordneten sich all meine Gedanken um ein einziges Wort –
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