Seelen der Nacht
ist heute noch genauso verhext wie damals. Überlass das uns.«
Wieder machte er einen Schritt auf mich zu. »Der Name meiner Hexe war deinem ganz ähnlich – Meridiana. Natürlich wollte sie mir nicht helfen, die Geheimnisse des Manuskripts zu entschlüsseln. Aber mein Blut fesselte sie an mich.« Inzwischen war er mir so nahe, dass mich die von ihm ausstrahlende Kälte frösteln ließ. »Jedes Mal, wenn ich von ihrem Blut trank, ging etwas von ihrem magischen Gespür in mich über, zusammen mit Fragmenten ihres Wissens. Allerdings blieb beides frustrierend oberflächlich. Darum konnte ich nicht von ihr ablassen. Sie wurde dabei immer schwächer und leichter zu kontrollieren.« Gerberts Finger berührte mein Gesicht. »Meridianas Augen waren beinahe wie deine. Was hast du gesehen, Diana? Wirst du es mit mir teilen?«
»Es reicht, Gerbert.« Satus Stimme knisterte warnend, und Domenico reagierte mit einem leisen Knurren.
»Mach dir keine Hoffnungen, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben, Diana. Erst werden dich die Hexen an die Kandare nehmen. Dann wird die Kongregation beschließen, was mit dir geschehen soll.« Gerberts Augen bohrten sich in meine, und sein Finger strich fast liebkosend über meine Wange. »Und danach gehörst du mir. Vorerst«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung zu Satu hin, »gehört sie dir.«
Die Vampire zogen sich zurück. Domenico drehte sich noch einmal um, als wollte er nicht gehen. Satu wartete mit leerem Blick, bis Metall auf Holz und Stein schlug und anzeigte, dass sie die Burg verlassen hatten. Ihre blauen Augen erwachten wieder, und sie sah mich an. Mit einer kleinen Geste löste sie den Bannspruch, der mich zum Schweigen verdammt hatte.
»Wer bist du?«, krächzte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte.
»Ich heiße Satu Järvinen«, sagte sie, während sie mich langsam umkreiste, eine Hand hinter sich herziehend. Mit ihrer Geste weckte sie eine tief verschüttete Erinnerung an eine andere Hand, die sich genauso bewegt hatte. Einmal hatte Sarah in unserem Garten in Madison einen ähnlichen Kreis gezogen, als sie einen verirrten Hund zu binden versucht hatte, aber die Hände in meinem Geist waren nicht ihre.
Sarahs Talente kamen bei Weitem nicht an die dieser Hexe heran. Dass Satu eine mächtige Hexe war, hatte ich schon daran erkannt, wie sie flog. Aber sie verstand auch mit Zaubersprüchen umzugehen. Im Moment fesselte sie mich, ohne auch nur ein Wort zu sagen, mit magischen Spinnwebenfäden, die sich über den ganzen Hof erstreckten. Jede Hoffnung, ich könnte ihr entfliehen, verflüchtigte sich.
»Warum hast du mich entführt?«, fragte ich, um sie von ihrem Werk abzulenken.
»Wir haben versucht, dir vor Augen zu führen, wie gefährlich Clairmont ist. Als Hexen wollten wir eigentlich nicht so weit gehen, aber du wolltest ja nicht hören.« Satus Worte schienen von Herzen zu kommen, ihre Stimme war warm. »An Mabon wolltest du nicht mit uns feiern, und auch Peter Knox hast du abgewiesen. Jeden Tag hat sich dieser Vampir näher an dich herangemacht. Aber jetzt bist du vor ihm sicher.«
In mir schrillten alle Alarmglocken.
»Du kannst nichts dafür«, fuhr Satu fort und legte dabei die Finger auf meine Schulter. Meine Haut begann zu kribbeln, und die Hexe lächelte. »Vampire sind so charmant und so verführerisch. Er hat dich hörig gemacht, so wie Gerbert Meridiana hörig machte. Wir geben dir keine Schuld daran, Diana. Du hattest eine so behütete Kindheit. Du konntest ihn nicht als das erkennen, was er ist.«
»Ich bin Matthew nicht hörig«, widersprach ich.
»Bist du ganz sicher?«, fragte sie freundlich. »Du hast nie einen Tropfen seines Blutes gekostet?«
»Natürlich nicht!« Vampirblut war eine mächtige, lebensverändernde Substanz.
»Du erinnerst dich nicht zufällig an einen konzentrierten salzigen Geschmack? Oder an ungewöhnliche Müdigkeit? Du bist nie in Tiefschlaf gefallen, wenn er in deiner Nähe war und du eigentlich wach bleiben wolltest?«
Auf dem Flug nach Frankreich hatte Matthew seine Fingerspitzen erst an seine Lippen und dann an meine gelegt. Damals hatte ich Salz geschmeckt. Und als ich wieder wach geworden war, waren wir in Frankreich gewesen. Meine Gewissheit geriet ins Wanken.
»Ich verstehe. Er hat dich also doch von seinem Blut kosten lassen.« Satu schüttelte den Kopf. »Das ist nicht gut, Diana. Wir dachten schon, dass das passiert sein könnte, nachdem er dir an Mabon bis zu deinem College gefolgt und durch
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