Seelen der Nacht
ausgezogen, und sie untersuchte den Gazeverband an meinem Unterarm, den bandagierten Rumpf sowie die übrigen Schnitte und Flecken.
»Matthew hat mich schon untersucht. Er ist Arzt, vergesst das nicht!«
Ihre Finger drückten gegen mein Schlüsselbein. Ich krümmte mich zusammen. »Trotzdem ist ihm das hier entgangen. Ein Haarriss.« Die Finger wanderten aufwärts zu meinem Wangenknochen. »Was ist mit ihrem Knöchel?« Wie üblich konnte ich vor Sarah nichts geheim halten.
»Eine schlimme Verstauchung begleitet von oberflächlichen Verbrennungen ersten und zweiten Grades.« Matthew starrte auf Sarahs Hände, bereit, sie sofort von mir wegzureißen, falls sie mir Schmerzen zufügte.
»Wie kann man an derselben Stelle Verbrennungen und eine Verstauchung bekommen?« Sarah behandelte Matthew wie einen Medizinstudenten bei der ersten Visite.
»Indem man von einer sadistischen Hexe kopfüber aufgehängt wird«, antwortete ich und wand mich leise, während Sarah mein Gesicht untersuchte.
»Was ist darunter?«, wollte Sarah wissen, als hätte ich nichts gesagt, und deutete auf meinen Arm.
»Eine so tiefe Schnittwunde, dass sie genäht werden musste«, antwortete Matthew geduldig.
»Was hat sie bekommen?«
»Schmerzmittel, ein Diuretikum gegen die Schwellungen und ein Breitbandantibiotikum.« Ich hörte einen Anflug von Ärger in seiner Stimme.
»Warum ist sie verpackt wie eine Mumie?«, fragte Em und kaute auf ihrer Lippe.
Mir wich das Blut aus dem Gesicht. Sarah hielt in ihrer Untersuchung inne und sah mich prüfend an, bevor sie reagierte.
»Das kann warten, Em. Eins nach dem anderen. Wer hat dir das angetan, Diana?«
»Eine Hexe namens Satu Järvinen. Ich glaube, sie kommt aus Schweden.« Ich verschränkte schützend die Arme vor der Brust.
Matthews Mund spannte sich an, und er wich mir gerade lange genug von der Seite, um neue Scheite aufs Feuer zu legen.
»Sie ist keine Schwedin, sondern Finnin«, sagte Sarah. »Und sie ist mächtig. Trotzdem wird sie sich wünschen, sie wäre nie geboren worden, wenn ich sie das nächste Mal treffe.«
»Wenn ich mit ihr fertig bin, wird nicht mehr viel von ihr übrig bleiben«, murmelte Matthew. »Ihr müsst sie also vor mir erwischen, wenn ihr sie in die Finger bekommen wollt. Und ich bin bekannt dafür, dass ich schnell bin.«
Sarah bedachte ihn mit einem prüfenden Blick. Sie hatte nur eine Drohung ausgestoßen. Matthew nicht. Er hatte ein Versprechen abgegeben. »Wer hat Diana außer dir behandelt?«
»Meine Mutter und ihre Haushälterin Marthe.«
»Sie kennen sich mit alten Kräutern aus. Aber ich kann noch mehr bewirken.« Sarah krempelte ihre Ärmel hoch.
»Es ist noch ein bisschen früh zum Hexen. Hattest du auch genug Kaffee?« Ich fixierte Em mit flehendem Blick und bettelte sie schweigend an, Sarah zurückzupfeifen.
»Lass Sarah das richten, Schätzchen«, sagte Em, nahm meine Hand und drückte sie. »Je eher sie das tut, desto früher wird es heilen.«
Sarahs Lippen bewegten sich bereits. Matthew schob sich fasziniert näher heran. Sie legte die Fingerspitzen an mein Gesicht. Der Knochen unter der Haut kribbelte wie elektrisiert, bevor sich der Bruch mit einem Knacken schloss.
»Autsch!« Ich hielt mir die Wange.
»Es wird ein bisschen stechen«, versprach Sarah. »Du warst stark genug, die Verletzung auszuhalten – da sollte dir die Heilung keine Probleme bereiten.« Sie studierte meine Wange und nickte dann zufrieden, bevor sie sich meinem Schlüsselbein zuwandte. Das elektrische Ziepen, mit dem sie die Knochen richtete, war hier deutlich stärker zu spüren, zweifellos, weil die Knochen dicker waren.
»Zieh ihren Schuh aus«, wies sie Matthew an und verschwand dann
in ihre Rezeptur. Er war der überqualifizierteste Hilfspfleger, den man sich vorstellen konnte, aber er führte ihre Anordnungen ohne zu murren aus.
Bis Sarah mit einem Salbentopf zurückkehrte, hatte Matthew meinen Fuß schon auf seinem Schenkel abgelegt. »In meiner Tasche oben sind Scheren«, erklärte er meiner Tante und schnupperte neugierig, als sie den Deckel des Salbentopfes aufschraubte. »Soll ich sie holen?«
»Brauchen wir nicht.« Sarah murmelte etwas und deutete auf meinen Knöchel. Der Gazeverband begann sich von selbst abzuwickeln.
»Wirklich praktisch«, stellte Matthew neidisch fest.
»Angeberin«, murmelte ich leise.
Als sich die Gaze zu einem Knäuel aufgerollt hatte, richteten sich alle Blicke erneut auf meinen Knöchel. Er sah immer noch schlimm aus
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