Seelen der Nacht
freien Lauf lassen. Nach ein, zwei Minuten schlang sich Matthews Hand von hinten um meine Taille. Sein Körper schirmte mich vom Rest der Welt ab, und ich ließ mich erschöpft an seine Brust sinken.
»Lass es laufen«, flüsterte er mir ins Ohr.
Die Hexenflut versiegte, und zurück blieb ein schmerzliches Verlustgefühl, das nie ganz weggehen würde.
»Ich wünschte, sie wären hier«, schluchzte ich. »Meine Mutter und mein Vater hätten gewusst, was ich tun soll.«
»Ich weiß, dass du sie vermisst. Aber sie hätten auch nicht gewusst, was du tun sollst – nicht wirklich. Genau wie alle Eltern haben sie einfach in jedem Moment ihr Bestes getan.«
»Meine Mutter hat vorhergesehen, dass wir uns kennenlernen würden und was die Kongregation unternehmen würde. Sie war eine große Seherin.«
»Wie du eines Tages eine sein wirst. Bis dahin werden wir uns durchschlagen müssen, ohne dass wir wissen, was die Zukunft für uns bereithält. Aber wenigstens sind wir zu zweit. Du brauchst das nicht allein zu tun.«
Wir gingen wieder ins Haus, wo Sarah und Em immer noch über dem Blatt aus dem Manuskript brüteten. Ich verkündete, dass ich nichts gegen eine weitere Kanne Kaffee und einen Becher Tee einzuwenden hätte, und Matthew folgte mir in die Küche, auch wenn sein Blick an dem grellbunten Bild zu haften schien.
In der Küche sah es wie üblich aus wie auf dem Schlachtfeld. Jede freie Fläche war mit Geschirr vollgestellt. Während der Kessel auf dem Herd stand und der Kaffee durch die Maschine lief, krempelte ich die Ärmel hoch, um abzuspülen.
Matthews Handy summte in seiner Hosentasche. Er ignorierte es und konzentrierte sich darauf, noch mehr Scheite auf die übervolle Feuerstelle zu häufen.
»Du solltest drangehen«, riet ich ihm, während ich Spülmittel ins Spülbecken spritzte.
Er zog das Telefon heraus. Sein Gesicht verriet, dass er diesen Anruf lieber nicht entgegengenommen hätte. »Oui. «
Bestimmt war es Ysabeau. Irgendwas war passiert, oder jemand war nicht dort, wo er oder sie sein sollte – ich konnte ihrem maschinengewehrschnellen Wortwechsel keine Details entnehmen, aber dass Matthew sich ärgerte, war unübersehbar. Er bellte ein paar Befehle und beendete das Gespräch.
»Ist mit Ysabeau alles in Ordnung?« Ich zog die Finger durch das warme Wasser und hoffte, dass es keine neue Krise gab.
Matthews Hände zogen meine Schultern sanft nach unten und kneteten die verspannten Muskeln. »Es geht ihr gut. Das war nicht Ysabeau. Es war Alain. Er war dabei, ein paar Geschäfte für die Familie zu erledigen, und geriet dabei in eine unerwartete Situation.«
»Geschäfte?« Ich griff nach dem Schwamm und begann abzuwaschen. »Für die Lazarusritter?«
»Ja«, bestätigte er knapp.
»Wer ist Alain?« Ich stellte den sauberen Teller in das Abtropfgestell.
»Ursprünglich war er der Knappe meines Vaters. Er war unverzichtbar für Philippe, sowohl im Krieg, als auch im Frieden, und so machte Marthe ihn zum Vampir. Er weiß in allen Angelegenheiten der Bruderschaft Bescheid. Als mein Vater starb, übertrug Alain seine Loyalität von Philippe auf mich. Er wollte mich warnen, dass Marcus wenig begeistert über meine Order ist.«
Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an. »War es dieselbe Order, die du Baldwin in La Guardia erteilt hast?«
Er nickte.
»Ich mache deiner Familie nichts als Ärger.«
»Das ist keine Familienangelegenheit mehr, Diana. Die Lazarusritter schützen jene, die sich nicht selbst schützen können. Marcus wusste das, als er sich in den Orden aufnehmen ließ.«
Matthews Handy surrte wieder.
»Und da ist er schon«, prophezeite er grimmig.
»Sprich allein mit ihm.« Ich nickte zur Tür hin. Matthew küsste
mich auf die Wange, dann drückte er die Sprechtaste und ging in Richtung Garten davon.
»Hallo, Marcus«, sagte er verhalten und zog die Tür hinter sich zu.
Ich schwappte weiter Seifenwasser über die Teller, auch weil ich die monotone Tätigkeit beruhigend fand.
»Wo ist Matthew?« Sarah und Em standen Hand in Hand in der Tür.
»Der ist draußen und redet mit England«, antwortete ich und nickte wieder in Richtung Hintertür.
Sarah holte die nächste saubere Tasse aus dem Schrank – meiner Zählung nach die vierte, die sie heute benutzte – und füllte sie mit frischem Kaffee. Emily griff nach der Zeitung. Trotzdem spürte ich, wie mich ihr neugieriger Blick kitzelte. Die Tür zum Garten ging auf und wieder zu. Ich machte mich auf das Schlimmste
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