Seelen der Nacht
bist.«
»Du bist erschrocken. Deine Instinkte hätten jedes Mal in Panik aufschreien müssen, sobald ich in deine Nähe kam. Stattdessen kamst du von selbst auf mich zu.« Matthew setzte einen Kuss auf meinen Kopf und las die letzte Seite vor.
»Ich weiß nicht, wie ich diesen Brief beenden soll, ich habe noch so vieles auf dem Herzen. Die letzten sieben Jahre waren die glücklichsten meines Lebens. Ich hätte keine Sekunde der kostbaren Zeit missen wollen, die ich mit dir verbringen durfte – nicht einmal für einen Ozean an Macht oder für ein langes, gefahrloses Leben ohne dich. Wir wissen nicht, warum die Göttin dich ausgerechnet uns anvertraut hat, aber es ist kein Tag vergangen, an dem wir ihr nicht dafür gedankt hätten. «
Ich unterdrückte ein Schluchzen, aber die Tränen konnte ich nicht zurückhalten.
»Ich kann dich nicht vor den Herausforderungen bewahren, denen du dich wirst stellen müssen. Du wirst schwere Verluste erleiden und große Gefahren durchstehen müssen, aber auch große Freude erfahren. Auch wenn du vielleicht in den kommenden Jahren deine Instinkte anzweifeln wirst, hast du seit dem Tag deiner Geburt genau diesen Weg beschritten. Wir wussten es, als du mit einer Glückshaube geboren wurdest. Seither wandelst du zwischen den Welten. Das ist dein Wesen, das ist deine Bestimmung. Lass dich von niemandem davon abbringen. «
»Was ist eine Glückshaube?«, flüsterte ich.
»So nennt man es, wenn bei der Geburt die Fruchtblase auf dem Kopf des Kindes sitzt. Es gilt als gutes Zeichen«, erklärte Sarah.
Matthew umfasste mit der freien Hand meinen Hinterkopf. »Aber mit der Glückshaube wird mehr als nur ein glückliches Leben in Verbindung gebracht. In vergangenen Zeiten glaubte man, dass damit die Geburt eines großen Sehers angezeigt wird. Andere glaubten, es sei ein Zeichen dafür, dass man sich eines Tages in einen Vampir, eine Hexe oder einen Werwolf verwandeln würde.«
»Wo ist sie?«, fragte Em Sarah.
Matthew und ich drehten wie auf Kommando den Kopf. »Was?«, fragten wir im Chor.
»Glückshauben haben ungeheure Kräfte. Stephen und Rebecca haben sie bestimmt aufbewahrt.«
Wir blickten alle in den Spalt in der Vertäfelung. Ein Telefonbuch landete mit einem dumpfen Schlag auf der Feuerstelle und wirbelte eine dicke Aschewolke in den Raum.
»Wie bewahrt man eine Fruchtblase auf?«, rätselte ich hustend. »Tut man die in eine Tüte oder was?«
»Traditionellerweise wird ein Stück Papier oder Stoff auf das Gesicht des Babys gepresst, und die Fruchtblase bleibt daran kleben. Dann wird das Papier aufbewahrt«, erläuterte Em.
Alle Blicke richteten sich auf die Seite aus Ashmole 782 . Sarah nahm sie in die Hand und studierte sie ausgiebig. Dann murmelte sie ein paar Worte und starrte noch einmal darauf. »An diesem Bild ist einiges unheimlich«, vermeldete sie. »Aber Dianas Glückshaube klebt nicht daran.«
Irgendwie war ich erleichtert. Das wäre dann doch zu absonderlich gewesen.
»War das alles, oder hatte meine Schwester noch mehr Geheimnisse, die sie mit uns teilen möchte?«, fragte Sarah spitz. Matthew warf ihr einen strengen Blick zu. »Entschuldige, Diana«, murmelte sie.
»Es ist nicht mehr viel. Kommst du damit zurecht, mon cœur ?«
Ich nahm seine freie Hand und nickte. Er ließ sich auf der gepolsterten Armlehne des Sessels nieder, der unter seinem Gewicht protestierend quietschte.
»Versuch auf deiner Reise in die Zukunft nicht allzu streng mit dir zu sein. Lass dir nichts vormachen, vertraue deinem Instinkt. Ich weiß, das ist kein besonders origineller Rat, aber es ist der Beste, den eine Mutter geben kann. Wir ertragen es kaum, dich zurückzulassen, aber wenn wir es nicht täten, würden wir damit riskieren, dich für alle Zeit zu verlieren. Verzeih uns. Wenn wir dir unrecht getan haben, dann nur, weil wir dich so lieben. Mom. «
Im Raum wurde es still, selbst das Haus schien den Atem anzuhalten. Tief in mir stieg ein unsäglich trauriges Stöhnen auf, und im nächsten Moment rollte eine Träne aus meinem Auge. Sie schwoll zur Größe eines Tennisballs an und klatschte auf den Boden. Meine Beine fühlten sich an wie aus Wasser.
»Jetzt geht’s los«, warnte Sarah.
Matthew legte die Seite aus dem Brief weg, hob mich aus dem Sessel und sauste mit mir aus der Tür. In der Einfahrt setzte er mich ab, und
sofort krallten sich meine Zehen in den Boden. Das Hexenwasser versickerte in der Erde, ohne Schaden anzurichten, und ich konnte meinen Tränen
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