Seelen der Nacht
wäre Juliette tot. Dennoch zögerte ich, schließlich hatte ich noch nie jemanden getötet.
Juliette brauchte nicht mehr als diesen Augenblick. Ihre Finger durchstießen
Matthews Brustkorb, und ihre Nägel zerfetzten Stoff und Fleisch, als wäre es Papier. Er schnappte vor Schmerzen nach Luft, und Juliette brüllte siegessicher auf.
Schlagartig vergaß ich alle Bedenken, schloss die rechte Hand und öffnete sie wieder. Ein Feuerball schoss aus den ausgestreckten Fingerspitzen meiner linken Hand. Juliette hörte die Flammenexplosion und roch den Schwefel in der Luft. Sie fuhr herum und zog die Nägel aus dem Loch in Matthews Brust. Fassungslos riss sie die Augen auf, und im nächsten Moment hüllte ein Feuerball sie in Schwarz, Gold und Rot ein. Zuerst fingen ihre Haare Feuer, und sie taumelte in panischer Angst zurück. Aber nachdem ich das vorhergesehen hatte, erwartete sie bereits ein weiterer Flammen speiender Ball. Sie stolperte direkt hinein.
Matthew sank auf die Knie und presste den blutdurchtränkten Pullover auf die Stelle über seinem Herzen, an der sie seine Haut durchstoßen hatte. Kreischend streckte Juliette die Hand aus und versuchte ihn in das Flammeninferno zu ziehen.
Eine kurze Bewegung aus dem Handgelenk, ein knapper Befehl an den Wind, und schon wurde sie in die Luft gehoben und ein paar Meter von dem Fleck weggetragen, an dem Matthew zu Boden sackte. Sie kippte nach hinten und schwebte so in der Luft.
Ich wollte zu ihm laufen, doch keinesfalls Juliette aus den Augen lassen, deren Vampirknochen und Vampirfleisch den Flammen trotzten. Ihre Haare waren abgesengt, die Haut war schwarz und ledrig, aber sie war noch nicht tot. Ihre Lippen bewegten sich immer noch und riefen weiter nach Matthew.
Meine Hände blieben erhoben, nur für den Fall, dass sie sich noch einmal wehrte. Einmal kam sie tatsächlich auf die Füße, und ich gab den nächsten Feuerstoß ab. Er traf sie mitten in die Brust, durchschlug ihren Brustkorb und trat an ihrem Rücken wieder aus, wobei er die geschwärzte Haut zerfetzte und ihre Rippen und Lunge zu Kohle verglühen ließ. Ihr Mund verzerrte sich zu einer Maske des Grauens. Inzwischen gab es für sie keine Hoffnung mehr, selbst wenn ihr Vampirblut noch so stark war.
Ich eilte zu Matthew und kniete mich neben ihm auf den Boden. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten und lag mit angezogenen Knien auf dem Rücken. Alles war voller Blut, das in tiefvioletten Wogen aus dem Loch in seiner Brust pulsierte und fast pechschwarz in einem gleichmäßigen Strom aus seinem Hals quoll.
»Was soll ich jetzt tun?« Hektisch presste ich die Finger auf seinen Hals. Seine weißen Hände umkrallten immer noch die Wunde in seiner Brust, aber mit jeder Sekunde wurde sein Griff schwächer.
»Hältst du mich fest?«, flüsterte er.
Den Rücken an den Eichenstamm gelehnt, zog ich ihn zwischen meine Beine.
»Mir ist kalt«, stellte er benommen und verwundert fest. »Merkwürdig.«
»Du darfst mich nicht allein lassen«, beschwor ich ihn. »Das lasse ich nicht zu.«
»Wir können nichts mehr ändern. Der Tod hält mich bereits in seiner Hand.« Matthew sprach in einem Tonfall, den seit tausend Jahren niemand mehr verwendet hatte. Seine Stimme senkte und hob sich in einem uralten Klangmuster.
»Nein.« Ich unterdrückte die Tränen. »Du musst kämpfen, Matthew.«
»Ich habe gekämpft, Diana. Und du bist in Sicherheit. Marcus wird dich von hier wegbringen, bevor die Kongregation erfährt, was vorgefallen ist.«
»Ohne dich gehe ich nirgendwohin.«
»Du musst.« Er wand sich in meinen Armen und kämpfte sich hoch, bis er mir ins Gesicht sehen konnte.
»Ich kann dich nicht verlieren, Matthew. Bitte halte durch, bis Marcus kommt.« Die Kette in mir geriet ins Schwingen, ein Glied nach dem anderen drohte sich zu lösen. Ich versuchte zu widerstehen, indem ich ihn fest an mein Herz drückte.
»Psst«, sagte er leise und legte einen blutigen Finger an meine Lippen, die kribbelten und taub wurden, sobald sein eisiges Blut meine Haut berührte. »Marcus und Baldwin wissen, was zu tun ist. Sie werden dich wohlbehalten zu Ysabeau bringen. Wenn ich nicht mehr da bin,
wird die Kongregation kaum gegen dich vorgehen können. Es wird den Vampiren und Hexen nicht gefallen, aber du bist jetzt eine de Clermont, und damit stehst du unter dem Schutz meiner Familie und unter dem Schutz der Lazarusritter.«
»Bleib bei mir, Matthew.« Ich senkte den Kopf und drückte meine Lippen auf seine, um ihn zum
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