Seelen der Nacht
überrascht.
Das war mein Geschenk. Jetzt bin ich in dir und schenke dir Leben.
Matthew schüttelte den Kopf, als wollte er ein lästiges Insekt abwehren, und trank weiter.
Ich bin in dir und spende dir neues Leben. Ich konnte kaum noch denken, kaum noch durch das Feuer sehen. Ich konzentrierte mich auf Em und Sarah und versuchte ihnen mit Blicken klarzumachen, dass sie sich keine Sorgen machen sollten. Auch nach Marcus hielt ich Ausschau, aber ich konnte die Augen nicht so weit verdrehen, dass ich ihn entdeckt hätte.
Ich bin in dir und spende dir Leben. Ich wiederholte das Mantra, bis mich die Kräfte verließen.
Ich hörte ein langsames Schlagen, der Klang meines Herzens, das sich zu sterben anschickte.
Sterben war ganz anders, als ich es erwartet hatte.
Einen Augenblick herrschte absolute Stille.
Ein Gefühl von Abschied und Bedauern.
Dann nichts.
38
I n meinen Knochen dröhnte es, als würden zwei Welten aufeinanderprallen.
Etwas stach in meinen rechten Arm, ich roch Latex und Plastik, dann hörte ich Matthew mit Marcus streiten. Unter mir spürte ich kalte Erde, und gleich darauf überdeckte die stechende Schärfe des modrigen Laubes alle anderen Gerüche. Ich hatte die Augen geöffnet, aber um mich herum blieb es schwarz. Mit Mühe konnte ich das Gekrakel der halb nackten Äste über mir ausmachen.
»Nimm den linken Arm – der ist schon geöffnet«, befahl Matthew ungeduldig.
»Der Arm ist nicht zu gebrauchen, Matthew. Das Gewebe ist mit deinem Speichel getränkt und wird nichts anderes mehr aufnehmen. Der rechte Arm ist besser. Ich habe Schwierigkeiten, eine Vene zu finden, weil ihr Blutdruck so abgesackt ist, das ist alles.« Marcus sprach mit der professionellen Ruhe eines Notarztes, der regelmäßig mit dem Tod zu tun hat.
Zwei dicke Spaghettifäden ringelten sich auf meinem Gesicht. Kalte Finger berührten meine Nase, doch als ich sie abzuschütteln versuchte, drückten sie mich einfach nieder.
Aus der Dunkelheit rechts von mir hörte ich Miriams Stimme. »Tachykardie. Ich werde sie ruhigstellen.«
»Nein«, widersprach Matthew rau. »Keine Beruhigungsmittel. Sie ist sowieso fast bewusstlos. Dadurch könnte sie ins Koma fallen.«
»Dann sorg dafür, dass sie ruhig bleibt«, sagte Miriam sachlich. Winzige kalte Finger drückten überraschend energisch auf meinen Hals. »Ich kann sie nicht ruhig halten und gleichzeitig die Blutungen stillen.«
Ich konnte nur in verstörenden Ausschnitten erkennen, was um mich herum geschah – was sich direkt über mir abspielte, was sich am Rand meines Blickfeldes tat und was ich sehen konnte, wenn ich unter ungeheurer Anstrengung die Augen in ihren Höhlen bewegte.
»Kannst du irgendwas unternehmen, Sarah?«, hörte ich Matthews ängstliche Stimme.
Sarahs Gesicht schwebte in mein Blickfeld. »Gegen Vampirbisse hilft keine Hexerei. Sonst hätten wir euch nie fürchten müssen.«
Ich begann an einen friedlichen Ort abzutreiben, doch dann wurde ich durch Ems Hand aufgehalten, die meine ergriff und mich daran hinderte, meinen Körper zu verlassen.
»Dann haben wir keine Wahl.« Matthew klang untröstlich. »Ich werde es tun.«
»Auf keinen Fall, Matthew«, widersprach Miriam energisch. »Dafür bist du noch zu schwach. Außerdem habe ich das schon hunderte Male gemacht.« Ich hörte etwas reißen. Seit Juliettes Angriff auf Matthew wusste ich, dass es Vampirfleisch war.
»Machen sie mich jetzt zur Vampirin?«, fragte ich Em.
»Nein, mon cœur .« Matthew klang genauso energisch wie Miriam eben. »Du hast viel Blut verloren – geschenkt. Marcus ersetzt es durch menschliches Blut. Jetzt muss Miriam nach deinem Hals sehen.«
»Ach.« Das war zu kompliziert, als dass ich noch folgen konnte. Mein Hirn fühlte sich irgendwie pelzig an – fast so pelzig wie meine Zunge und mein Hals. »Ich bin durstig.«
»Du bist durstig nach Vampirblut, aber das wirst du nicht bekommen. Bleib ganz still liegen«, erklärte Matthew mir nachdrücklich und hielt dabei meine Schultern so fest, dass es schon wehtat. Marcus’ kalte Hände schoben sich an meinen Ohren vorbei auf mein Kinn zu und hielten mir auch den Mund zu. »Und Miriam …«
»Spar dir die Kommentare, Matthew«, fuhr Miriam dazwischen. »Ich habe das schon mit Warmblütern gemacht, bevor du auch nur wiedergeboren wurdest.«
Etwas Scharfes schnitt mir in den Hals, dann lag der Geruch von Blut in der Luft.
Dem Schnitt folgte ein gleichzeitig eisiger und brennender Schmerz. Hitze und
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