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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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rudern gehe, obwohl mir Vampire und Dämonen und Hexen auf den Fersen sind.« Ich wollte keine weiteren Ermahnungen hören  – heute Morgen schon gar nicht.
    »Nein.« In seiner Stimme lag leise ätzende Säure. »Obwohl das eine exzellente Frage wäre. Ich wollte dich fragen, warum du mit geschlossenen Augen spazieren gehst.«
    Ich lachte. »Wie  – tust du das nie?«
    Matthew schüttelte den Kopf. »Wir Vampire haben nur fünf Sinne. Wir halten es für geboten, sie alle einzusetzen«, meinte er sarkastisch.
    »Das hat gar nichts mit Magie zu tun, Matthew. Dieses Spiel habe ich schon als Kind gespielt. Damit habe ich meine Tante in den Wahnsinn getrieben. Immer kam ich mit blauen Flecken und zerkratzt heim, weil ich in einen Busch oder gegen einen Baum gelaufen war.«
    Der Vampir sah mich nachdenklich an. Dann schob er die Hände in
die Taschen seiner schiefergrauen Hose und schaute versonnen in den Nebel. Heute trug er einen blaugrauen Sweater, der sein Haar dunkler wirken ließ, aber keinen Mantel. Bei diesem Wetter fiel das sofort ins Auge. Plötzlich fühlte ich mich ungekämmt und wünschte, meine Ruderhose hätte hinten am linken Schenkel kein Loch, wo sie sich an der Dolle verfangen hatte.
    »Wie war das Training heute Morgen?«, fragte Clairmont schließlich, als wüsste er das nicht längst. Er war bestimmt nicht auf einem morgendlichen Spaziergang unterwegs.
    »Gut«, antwortete ich knapp.
    »So früh sind nicht viele Menschen unterwegs.«
    »Nein, aber ich mag es, wenn es auf dem Fluss nicht zu voll ist.«
    »Ist es nicht riskant, bei diesem Wetter rudern zu gehen, wo kaum jemand unterwegs ist?« Er sagte das ganz freundlich, und wäre er kein Vampir gewesen, der mich auf Schritt und Tritt beschattete, hätte ich seine Frage möglicherweise als unbeholfenen Versuch gedeutet, Konversation zu machen.
    »Inwiefern riskant?«
    »Weil möglicherweise niemand sehen würde, wenn dir etwas zustößt.«
    Bis dahin hatte ich auf dem Fluss noch nie Angst gehabt, aber er hatte nicht ganz unrecht. Trotzdem tat ich seine Bedenken mit einem Achselzucken ab. »Ab Montag sind die Studenten wieder hier. Ich genieße den Frieden, solange ich kann.«
    »Fängt nächste Woche tatsächlich schon das neue Semester an?« Clairmont klang aufrichtig überrascht.
    »Arbeitest du wirklich an der Universität?« Ich lachte.
    »Theoretisch schon, aber ich habe kaum mit den Studenten zu tun. Ich beschäftige mich eher mit Forschung.« Sein Mund wurde schmal. Er konnte es nicht leiden, wenn man über ihn lachte.
    »Das muss nett sein.« Ich dachte an den Vorlesungssaal mit den dreihundert Plätzen, in dem ich meine Einführungsvorlesung halten würde, und an all die übereifrigen Erstsemester.
    »Vor allem ist es ruhig. Meine Laborgeräte beschweren sich nie, wenn
sie Überstunden machen müssen. Außerdem stehen mir Dr. Shephard und ein zweiter Assistent, Dr. Whitmore, zur Seite, ich bin also nicht ganz allein.«
    Es war klamm, und mir war kalt. Außerdem kam es mir irgendwie unnatürlich vor, im halbdunklen, erbsensuppendicken Nebel mit einem Vampir Nettigkeiten auszutauschen. »Ich muss jetzt nach Hause.«
    »Soll ich dich mitnehmen?«
    Vor vier Tagen hätte ich mich auf gar keinen Fall von einem Vampir nach Hause fahren lassen, aber an diesem Morgen klang das ausgesprochen verlockend. Außerdem konnte ich ihn unterwegs vielleicht fragen, warum sich ein Biochemiker für ein alchemistisches Manuskript aus dem siebzehnten Jahrhundert interessierte.
    »Gern«, sagte ich.
    Clairmonts schüchterner und gleichzeitig erfreuter Blick war absolut entwaffnend. »Mein Wagen steht ganz in der Nähe.« Er deutete in Richtung Christ Church College.
    Ein paar Minuten wanderten wir schweigend dahin, eingehüllt in den grauen Nebel und das eigenartige Gefühl, von allem abgeschnitten zu sein  – Hexe und Vampir. Er machte absichtlich kürzere Schritte, um auf einer Höhe mit mir zu bleiben, und er wirkte hier draußen viel entspannter als in der Bibliothek.
    »Ist das dein College?«
    »Nein, hier war ich noch nie Mitglied.« Er sagte das so, dass ich mich unwillkürlich fragte, an welchen Colleges er schon Mitglied gewesen war. Dann begann ich mir zu überlegen, wie lange er wohl schon lebte. Manchmal erschien er mir so alt wie Oxford selbst.
    »Diana?« Clairmont war stehengeblieben.
    »Hmm?« Ich hatte bereits den Weg zum Parkplatz des Colleges eingeschlagen.
    »Hier entlang«, sagte er und deutete in die entgegengesetzte

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