Seelen der Nacht
selbst zu öffnen?«, erwiderte er spitz. »Wollt ihr damit zeigen, wie kräftig ihr seid?«
»Nein, wir zeigen damit, wie unabhängig wir sind.« Ich stand mit verschränkten Armen vor ihm und wartete nur darauf, dass er mir widersprach, während mir gleichzeitig durch den Kopf schoss, was Chris mir über Clairmonts Verhalten gegenüber jener Frau erzählt hatte, die bei einer Konferenz zu viele Fragen zu stellen gewagt hatte.
Wortlos schloss er die Autotür und öffnete mir die Cafétür. Entschlossen blieb ich stehen. In einem Schwall warmer, feuchter Luft wehte mir der Duft von gebratenem Speck und Toast entgegen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
»Du bist unglaublich altmodisch«, gab ich seufzend den Kampf auf. Wenn er mir ein warmes Frühstück spendierte, durfte er mir heute früh so viele Türen aufhalten, wie er wollte.
»Nach dir«, murmelte er.
Drinnen schlängelten wir uns zwischen den vollen Tischen hindurch. Nachdem Clairmonts Teint im Nebel fast normal gewirkt hatte, sah er im grellen Neonlicht des Cafés verdächtig bleich aus. Ein paar Menschen starrten uns an, als wir vorbeigingen. Der Vampir versteifte sich.
Das war keine gute Idee , dachte ich nervös, während sich immer mehr menschliche Blicke auf uns richteten.
»Hi, Matthew«, rief eine fröhliche Frauenstimme hinter der Theke hervor. »Frühstück für zwei?«
Sein Gesicht hellte sich auf. »Zwei, Mary. Wie geht es Dan?«
»Immerhin so gut, dass er es satt hat, im Bett zu liegen. Wenn du mich fragst, ist er eindeutig auf dem Weg der Besserung.«
»Freut mich zu hören«, sagte Clairmont. »Kannst du dieser Lady bei Gelegenheit einen Tee bringen? Sie hat gedroht, dafür zu töten.«
»Das wird nicht nötig sein, Liebes«, erklärte Mary mir lächelnd.
»Bei uns gibt es den Tee auch ohne Blutvergießen.« Sie schob ihren ausladenden Körper hinter der Resopaltheke hervor und führte uns an einen Tisch in der hintersten Ecke, gleich neben der Tür zur Küche. Zwei laminierte Speisekarten landeten klatschend auf der Tischplatte. »Hier bist du keinem im Weg, Matthew. Ich schicke Steph mit dem Tee vorbei. Ihr könnt bleiben, so lange ihr wollt.«
Clairmont achtete darauf, dass ich den Stuhl mit Blick in den Raum nahm. Dann setzte er sich mir gegenüber, mit dem Rücken zum Café, rollte die Speisekarte zusammen und strich sie langsam und sichtlich angespannt wieder glatt. Unter Menschen wirkte der Vampir ruhelos und gereizt, genau wie in der Bibliothek. Er war wesentlich entspannter, wenn wir beide allein waren.
Dank meiner neu erworbenen Kenntnisse über den norwegischen Wolf war mir klar, was dieses Verhalten zu bedeuten hatte. Er wollte mich beschützen.
»Wer könnte mir hier schon gefährlich werden, Matthew? Ich habe dir doch gesagt, dass ich selbst auf mich aufpassen kann.« Das klang ein bisschen zickiger, als ich beabsichtigt hatte.
»Ja, das kannst du bestimmt«, bestätigte er zweifelnd.
»Hör zu.« Ich gab mir Mühe, möglichst ruhig zu klingen. »Du hast es geschafft, sie von mir fernzuhalten.« Die Tische standen zu dicht, als dass ich deutlicher werden konnte. »Dafür bin ich dir wirklich dankbar. Aber hier im Café sind lauter Menschen. Gefährlich könnte es für uns höchstens werden, wenn du sie auf dich aufmerksam machst. Du hast offiziell dienstfrei.«
Clairmont nickte kaum merklich zur Kasse hin. »Der Mann da drüben hat gerade seinem Freund erklärt, dass du ›lecker‹ aussiehst.« Er versuchte das scherzhaft zu sagen, aber sein Gesicht verdüsterte sich dabei. Ich musste mir das Lachen verkneifen.
»Ich glaube nicht, dass er mich gleich beißt«, sagte ich.
Der Teint des Vampirs verfärbte sich zu einem leichten Grau.
»Soweit ich die britische Umgangssprache verstehe, ist ›lecker‹ ein Kompliment, keine Drohung.«
Clairmonts Miene blieb finster.
»Wenn dir nicht gefällt, was du zu hören bekommst, solltest du aufhören, andere Leute zu belauschen«, schlug ich vor.
»Leichter gesagt als getan«, verkündete er und griff nach dem Marmite-Glas.
Eine jüngere, geringfügig grazilere Version von Mary trat mit einer riesigen Steingut-Teekanne und zwei Bechern an unseren Tisch. »Milch und Zucker stehen schon auf dem Tisch, Matthew«, sagte sie und schätzte mich dabei neugierig ab.
Matthew stellte uns vor. »Steph, das ist Diana. Sie kommt aus Amerika.«
»Wirklich? Kommen Sie aus Kalifornien? Ich will unbedingt mal nach Kalifornien.«
»Nein, ich lebe in Connecticut«, antwortete ich
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