Seelen der Nacht
wohl mit einer kurzen Bemerkung abtun, doch dann überlegte er es sich anders. Ich hatte ihm ein Geheimnis verraten. Jetzt war er an der Reihe.
»Auch die Alchemisten wollten wissen, warum wir hier sind.« Clairmont sagte die Wahrheit – das sah ich ihm an –, aber jetzt wusste ich immer noch nicht, warum er sich so für Ashmole 782 interessierte. Er sah auf die Uhr. »Wenn du fertig bist, sollte ich dich jetzt ins College zurückbringen. Bestimmt möchtest du dir etwas Warmes anziehen, bevor du in die Bibliothek gehst.«
»Vor allem muss ich duschen.« Ich stand auf, streckte mich und dehnte den Hals. »Und ich muss heute Abend auf jeden Fall zum Yoga. Ich verbringe eindeutig zu viel Zeit am Schreibtisch.«
Die Augen des Vampirs funkelten. »Du machst Yoga?«
»Ich kann mir kein Leben ohne Yoga vorstellen«, erwiderte ich. »Ich liebe die Bewegungen und vor allem die Meditation.«
»Das hätte ich mir eigentlich denken können«, sagte er. »Man sieht es dir an, wenn du ruderst – eine Verbindung von Bewegung und Meditation.«
Meine Wangen wurden warm. Er hatte mich auf dem Fluss genauso intensiv beobachtet wie in der Bibliothek.
Clairmont legte zwanzig Pfund auf den Tisch und winkte Mary zu. Sie winkte zurück, und er lenkte mich mit einer leichten Berührung am Ellbogen zwischen den Tischen und den wenigen noch verbliebenen Gästen hindurch.
»Bei wem nimmst du deine Stunden?«, fragte er, nachdem er mir die Autotür geöffnet und ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.
»Ich gehe in das Studio an der High Street. Bis jetzt habe ich noch
keinen Yogalehrer gefunden, der mir wirklich zusagt, aber es ist nah, darum nehme ich damit vorlieb.« In New Haven hatte es eine ganze Reihe guter Yogastudios gegeben, aber in Oxford war die Auswahl mager.
Der Vampir setzte sich hinter das Steuer, drehte den Zündschlüssel und wendete zügig in einer nahen Einfahrt, um dann in die Stadt zurückzufahren.
»Dort findest du bestimmt nicht den Lehrer, den du brauchst«, vertraute er mir an.
»Du machst auch Yoga?« Mich faszinierte die Vorstellung, wie er seinen kräftigen Körper in die verschiedenen Positionen zwang.
»Manchmal«, sagte er. »Wenn du morgen mit mir zum Yoga kommen möchtest, könnte ich dich um sechs vor dem Hertford College abholen. Heute Abend müsstest du dich noch mal in das Studio in der Stadt wagen, aber morgen Abend bekämst du eine richtig gute Stunde.«
»Wo ist dein Studio? Ich kann ja anrufen und fragen, ob sie auch heute offen haben.«
Clairmont schüttelte den Kopf. »Heute Abend haben sie nicht geöffnet. Nur Montag-, Mittwoch-, Freitag- und Sonntagabend.«
»Ach so«, sagte ich enttäuscht. »Und wie läuft die Stunde ab?«
»Du wirst schon sehen. Es ist schwer zu beschreiben.« Er gab sich Mühe, nicht zu lächeln.
Zu meiner Überraschung waren wir bereits bei meiner Unterkunft angekommen. Als wir vor der Pförtnerloge hielten, renkte sich Fred fast den Hals aus, um festzustellen, wer da mit laufendem Motor auf dem Platz vor dem Wohnheim stand, bemerkte die Krankenhaus-Plakette und kam herbeigeschlendert, um festzustellen, was los war.
Clairmont öffnete mir die Tür. Ich stieg aus, winkte Fred kurz zu und reichte Clairmont dann die Hand. »Das war ein nettes Frühstück. Danke für den Tee und für die Gesellschaft.«
»Jederzeit wieder«, sagte er. »Wir sehen uns in der Bibliothek.«
Clairmont fuhr los, und Fred stieß einen leisen Pfiff aus. »Netter Wagen, Dr. Bishop. Ein Freund von Ihnen?« Zu seinem Job gehörte es,
so viel wie möglich von dem zu erfahren, was im College vor sich ging, teils aus Sicherheitsgründen, teils um die schamlose Neugier zu befriedigen, die offenbar zur Stellenbeschreibung jedes Pförtners gehörte.
»Sieht so aus«, antwortete ich nachdenklich.
In meinem Zimmer zog ich meinen Pass aus der Hülle und zupfte einen Zehndollarschein aus meinem Bargeldvorrat. Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich einen Umschlag gefunden hatte. Nachdem ich den Schein ohne jede schriftliche Erklärung hineingesteckt hatte, adressierte ich den Umschlag an Chris, schrieb AIR MAIL in Großbuchstaben auf die Vorderseite und klebte die erforderlichen Briefmarken in die obere rechte Ecke.
Chris würde mich nie vergessen lassen, dass ich diese Wette verloren hatte. Niemals.
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G anz im Ernst, der Wagen ist so ein Klischee.« Die Haare klebten mir an den Fingern und knisterten und sprangen, wenn ich sie mir aus dem Gesicht streichen
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