Seelen der Nacht
ich zur Gabel griff und mich über meinen Teller hermachte.
Alles war heiß und köstlich und wies den perfekten Quotienten von knusprigem Äußerem zu zartem, zerfließendem Inneren auf. Nachdem der erste Hunger gestillt war, startete ich einen methodischen Angriff auf den Toasthalter, nahm mir die erste Dreieckscheibe und beschmierte sie mit Butter. Der Vampir sah mir beim Essen genauso aufmerksam und gespannt zu wie bei meinem kleinen Teezeremoniell.
»Warum Naturwissenschaften?«, eröffnete ich das Gespräch wieder und stopfte den Toast in meinen Mund, damit er das Sprechen übernehmen musste.
»Warum Geschichte?« Er spielte den Ball betont lässig zurück, aber so leicht gab ich nicht auf.
»Du zuerst.«
»Wahrscheinlich will ich unbedingt wissen, warum ich hier bin«, sagte er, den Blick auf die Tischplatte gerichtet. Er war dabei, aus der Zuckerdose und einem Ring blauer Süßstoffpäckchen eine Burg mitsamt Burggraben zu errichten.
Ich stockte kurz, weil Agatha am Vortag praktisch dasselbe gesagt hatte, als sie über Ashmole 782 gesprochen hatte. »Dann hättest du Philosophie studieren müssen, nicht Naturwissenschaften.« Ich leckte einen Buttertropfen von meinem Finger, um meine Verwirrung zu überspielen.
In seinen Augen flammte neuer Zorn auf. »Das glaubst du doch nicht wirklich – dass sich Naturwissenschaftler nicht für das Warum interessieren.«
»Früher haben sie sich tatsächlich für das Warum interessiert«, gestand ich ihm zu und musterte ihn argwöhnisch. Seine plötzlichen Stimmungsschwankungen waren wirklich beängstigend. »Inzwischen scheint es allein ums Wie zu gehen – wie funktioniert der Körper, wie bewegen sich Planeten?«
Clairmont schnaubte. »Nicht für die guten Wissenschaftler.« Die Gäste hinter ihm standen auf, und er spannte sich unwillkürlich an, um vorbereitet zu sein, falls sie unerwartet unseren Tisch erstürmen sollten.
»Und du bist ein guter Wissenschaftler.«
Er würdigte mich keines Kommentares.
»Eines Tages wirst du mir erklären müssen, was Neurobiologie mit DNA-Forschung, Verhaltensforschung und Evolution zu tun hat. Auf den ersten Blick drängt sich da keine Verbindung auf.« Ich biss wieder von meinem Toast ab.
Clairmonts linke Braue hob sich dem Haaransatz entgegen. »Du hast dich schlau gemacht«, bemerkte er scharf.
Ich zuckte mit den Achseln. »Du warst im Vorteil. Du wusstest alles über meine Arbeit. Ich wollte nur nachziehen.«
Er murmelte etwas vor sich hin, das sich französisch anhörte. »Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken«, erklärte er tonlos und auf Englisch, und dann zog er einen zweiten Graben aus Süßstoffpäckchen um seine Burg. »Es gibt keine Verbindung.«
»Lügner«, schalt ich ihn sanft.
Eigentlich hätte es mich nicht überraschen dürfen, dass meine Anschuldigung Clairmont wütend machte, dennoch war ich fassungslos, wie schnell seine Laune umschlagen konnte. Das rief mir ins Gedächtnis, dass ich mit einer möglicherweise todbringenden Kreatur beim Frühstück saß.
»Dann sag mir, worin die Verbindung besteht«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Das weiß ich nicht so genau«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Etwas hält alles zusammen, eine entscheidende Frage, die deine verschiedenen Forschungsgebiete umschließt. Andernfalls könnte man diese Vielfalt an Interessen nur damit erklären, dass du dir wie eine intellektuelle Elster alles herauspickst, was glänzt – was lächerlich ist, sonst wärst du als Forscher nicht so hoch angesehen –, oder dass dir schnell langweilig wird. Aber du kommst mir nicht wie der Typus vor, der zum intellektuellen Ennui neigt. Ganz im Gegenteil.«
Clairmont sah mich an, bis das Schweigen unangenehm wurde. Mein Magen begann sich über die Unmengen an Nahrung zu beschweren, die ich ihm aufgezwungen hatte. Ich schenkte mir frischen Tee ein und präparierte ihn minutiös, während ich darauf wartete, dass Clairmont etwas sagte.
»Für eine Hexe bist du auch eine ziemlich gute Beobachterin.« Ich entdeckte etwas wie widerwillige Bewunderung in seinen Augen.
»Vampire sind nicht die einzigen Wesen, die jagen gehen, Matthew.«
»Nein. Wir alle jagen etwas nach, nicht wahr, Diana?« Er ließ sich meinen Namen auf der Zunge zergehen. »Und jetzt bin ich dran. Warum Geschichte?«
»Du hast meine Fragen noch nicht beantwortet.« Dabei hatte ich die wichtigste noch gar nicht gestellt.
Er schüttelte vehement den Kopf, und mir war klar,
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