Seelen der Nacht
hin und her spazierte, bis mein Puls zu
rasen aufgehört hatte. In meinem Kopf kreiste nur eine einzige Frage: Was sollte ich jetzt anfangen, nachdem mich zwei Hexen – meine eigenen Leute – im Laufe eines einzigen Nachmittags bedroht hatten? Dann stand mir ebenso unvermittelt wie deutlich die Antwort vor Augen.
In meinem Apartment durchsuchte ich meine Handtasche, bis ich Clairmonts zerknitterte Visitenkarte erspürte, und wählte die erste Nummer.
Die Mailbox.
»Matthew, hier ist Diana. Es tut mir leid, dass ich dich belästigen muss, während du verreist bist.« Ich atmete tief durch und sagte: »Wir müssen uns unterhalten. Es ist etwas passiert. Es ist dieser Hexer aus der Bibliothek. Er heißt Peter Knox. Bitte ruf mich an, sobald du das hier abgehört hast.«
Ich würde nicht zulassen, dass sich ein Vampir in mein Leben drängte, hatte ich Sarah und Em versichert. Nach Gillian Chamberlain und Peter Knox hatte ich meine Meinung geändert. Mit zitternden Händen ließ ich die Jalousien hinunter, schloss die Tür ab und wünschte mir, ich hätte nie von Ashmole 782 gehört.
11
I n dieser Nacht bekam ich kein Auge zu. Ich saß erst auf dem Sofa, dann auf dem Bett, das Telefon neben mir. Nicht einmal eine Kanne Tee und eine Flut von E-Mails konnten mich von den Ereignissen des vergangenen Tages ablenken. Der Gedanke, dass meine Eltern womöglich von Hexen umgebracht worden waren, überstieg meine Vorstellungskraft. Also verdrängte ich das Ganze und zerbrach mir stattdessen den Kopf darüber, unter welchem Bann Ashmole 782 stehen mochte und warum sich Knox so dafür interessierte.
Als ich in der Morgendämmerung immer noch wach war, ging ich erst duschen und zog mich dann um. Anders als sonst lockte mich der Gedanke an ein Frühstück überhaupt nicht. Statt etwas zu essen, hockte ich an der Tür, bis die Bibliothek öffnete, und ging dann die kurze Strecke zur Bodleian, wo ich meinen Stammplatz einnahm. Das Handy steckte in meiner Tasche, mit aktiviertem Vibrationsalarm, obwohl ich es nicht ausstehen konnte, wenn anderer Leute Handys in der Stille zu summen und zu tanzen begannen.
Um halb elf spazierte Peter Knox in den Lesesaal und ließ sich am anderen Ende nieder. Unter dem Vorwand, eine Handschrift zurückzugeben, kehrte ich an die Ausleihtheke zurück, um mich zu überzeugen, dass Miriam immer noch in der Bibliothek war. Sie war da – und sie war wütend.
»Bitte sagen Sie mir, dass sich dieser Hexer nicht da drüben hingesetzt hat.«
»O doch. Er starrt mir auf den Rücken, während ich arbeite.«
»Ich wünschte, ich wäre größer«, sagte Miriam stirnrunzelnd.
»Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Sie nur größer sein müssten, um ihn zu vertreiben.« Ich schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
Als vielleicht eine Stunde später Matthew ins Selden End trat, lautlos und ohne Vorwarnung, spürte ich seinen Blick nicht mehr als eisigen Fleck. Stattdessen schienen kühle Schneeflocken auf meinen Haaren, meinen Schultern und meinem Rücken zu landen, so als wollte er sich in aller Eile überzeugen, dass ich noch in einem Stück war.
Meine Finger krallten sich in die Tischplatte. Im ersten Moment brachte ich nicht den Mut auf, mich umzudrehen, solche Angst hatte ich, es könnte nur Miriam sein. Als ich erkannte, dass es tatsächlich Matthew war, reagierte mein Herz mit einem einzigen festen Schlag.
Doch der Vampir sah schon nicht mehr in meine Richtung. Er starrte mit wutverzerrtem Gesicht Peter Knox an.
»Matthew«, rief ich ihn leise und stand auf.
Er riss den Blick von dem Hexer los und kam zu mir. Als ich verunsichert in sein wütendes Gesicht sah, schenkte er mir ein aufmunterndes Lächeln. »Wie ich gehört habe, gab es hier einige Aufregung.« Er stand so dicht vor mir, dass die Kühle, die von ihm ausging, so erfrischend wirkte wie eine Brise an einem Sommertag.
»Nichts, womit wir nicht fertig geworden wären«, antwortete ich ruhig und in dem Bewusstsein, dass Peter Knox uns beobachtete.
»Kann unsere Unterhaltung warten – nur bis heute Abend?«, fragte er. Matthews Finger wanderten aufwärts und strichen über etwas, das sich unter den weichen Fasern seines Pullovers abzeichnete. Ich fragte mich, was er wohl über dem Herzen trug. »Wir könnten zum Yoga gehen.«
Ich hatte zwar nicht geschlafen, trotzdem hörte sich ein Ausflug nach Woodstock in einem extrem gut isolierten Wagen, gefolgt von anderthalb Stunden meditativer Bewegung, ausgesprochen verlockend
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