Seelen
denn schon was sie verärgern würde? Oder ihre begrenzte Geduld überstrapazieren?
Jeb nickte, immer noch nachdenklich, und führte uns dann weiter. Er war jetzt nicht mehr ganz so engagiert, als er meine Führung durch die paar angrenzenden Höhlen hier im Krankenflügel fortsetzte, nicht mehr ganz so begeistert bei der Sache. Als wir umkehrten und wieder den dunklen Korridor betraten, verfiel er in Schweigen. Es war ein langer, stiller Weg. Ich dachte darüber nach, was ich gesagt hatte, und versuchte herauszufinden, was ihn beleidigt haben könnte. Aber Jeb war mir zu fremd und mir war nicht klar, ob das überhaupt der Fall war. Aus den anderen Menschen, so feindselig und misstrauisch sie auch waren, wurde ich wenigstens schlau. Wie konnte ich je hoffen, aus Jeb schlau zu werden?
Die Führung war unvermittelt zu Ende, als wir die riesige Gartenhöhle betraten, in der die Möhrensprösslinge einen hellgrünen Teppich über den dunklen Boden legten.
»Die Show ist vorbei«, sagte Jeb schroff und sah Ian und den Doktor an. »Geht und macht euch nützlich.«
Ian warf dem Doktor einen Blick zu und rollte mit den Augen, aber sie drehten sich beide gutmütig um und machten sich auf den Weg zu dem größten Ausgang - dem, der zur Küche führte wie ich mich erinnerte. Jamie zögerte, er sah ihnen nach, rührte sich aber nicht vom Fleck.
»Du kommst mit mir«, sagte Jeb zu ihm, etwas weniger schroff. »Ich habe einen Job für dich.«
»Okay«, sagte Jamie. Ich konnte sehen, wie sehr er sich freute, dass die Wahl auf ihn gefallen war.
Jamie lief wieder neben mir her, als wir in Richtung des Schlafbereichs gingen. Ich war überrascht, dass Jamie genau zu wissen schien, wo wir hingingen, als wir den dritten Gang von links einschlugen. Jeb ging etwas hinter uns, aber Jamie blieb direkt vor dem grünen Paravent stehen, der das siebte Zimmer verschloss. Er schob den Paravent für mich zur Seite, blieb aber im Gang stehen.
»Ist es okay für dich, hier eine Weile ruhig sitzen zu bleiben?«, fragte mich Jeb.
Bei dem Gedanken, mich wieder verstecken zu können, nickte ich dankbar. Ich duckte mich durch die Öffnung und stand dann mitten im Raum, ohne zu wissen, was ich mit mir anfangen sollte.
Melanie fielen die Bücher ein, aber ich erinnerte sie an meinen Schwur, nichts anzufassen.
»Ich hab zu tun, Junge«, sagte Jeb zu Jamie. »Das Essen macht sich schließlich nicht von alleine. Kannst du hier Wache halten?«
»Klar«, sagte Jamie mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. Ein tiefer Atemzug ließ seine schmächtige Brust anschwellen.
Ungläubig riss ich die Augen auf, als ich sah, wie Jeb das Gewehr in Jamies eifrige Hände legte.
»Bist du wahnsinnig?«, brüllte ich. Meine Stimme war so laut, dass ich sie zunächst gar nicht erkannte. Es kam mir so vor, als hätte ich mein Leben lang geflüstert.
Jeb und Jamie sahen mich schockiert an. Nur eine Sekunde später stand ich neben ihnen im Gang.
Beinahe hätte ich nach dem harten Metall des Laufs gegriffen - beinahe hätte ich es dem Jungen aus der Hand gerissen. Was mich davon abhielt, war nicht so sehr die Überzeugung, dass mich ein solcher Schritt sicher umgebracht hätte. Was mich davon abhielt, war vielmehr die Tatsache, dass ich, was Waffen anging, schwächer war als die Menschen; selbst um den Jungen zu retten, brachte ich es nicht über mich, das Gewehr zu berühren.
Stattdessen wandte ich mich an Jeb.
»Was hast du dir dabei gedacht? Die Waffe einem Kind zu geben! Er könnte sich selbst töten!«
»Jamie hat schon genug durchgemacht, um als Mann zu gelten, denke ich. Er weiß, wie er mit einer Waffe umzugehen hat.«
Jamies Schultern strafften sich bei Jebs Lob und er presste das Gewehr fester an die Brust.
Angesichts von Jebs Dummheit schnappte ich nach Luft. »Und was, wenn sie mich holen kommen, während er hier ist? Hast du mal darüber nachgedacht, was dann passieren könnte Das hier ist ja kein Scherz! Sie werden ihm wehtun, um an mich heranzukommen!«
Jeb blieb gelassen, sein Gesicht ruhig. »Ich glaube nicht, dass es heute Ärger gibt. Darauf könnte ich wetten.«
»Ich nicht!«, schrie ich. Meine Stimme hallte von den Tunnelwänden wider - irgendjemand hörte mich sicher, aber das war mir egal. Es war besser, sie kamen, solange Jeb hier war. »Wenn du dir so sicher bist, dann lass mich allein hier zurück. Lass es drauf ankommen. Aber bring Jamie nicht in Gefahr!«
»Machst du dir Sorgen um den Jungen oder hast du einfach Angst, dass er
Weitere Kostenlose Bücher