Seelen
anheben, aber ich zuckte zurück und er ließ sie sinken.
»Das macht mich echt krank«, sagte er und seine Stimme klang wirklich so, als wäre ihm übel. »Und zu wissen, dass ich das möglicherweise gemacht hätte, wenn ich nicht hiergeblieben wäre, ist noch schlimmer …«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nichts, Ian.«
»Das sehe ich anders«, murmelte er und wandte sich dann an Jamie. »Du solltest wahrscheinlich langsam mal in die Schule gehen. Je eher wir wieder zur Normalität zurückkehren, desto besser.«
Jamie maulte. »Sharon ist heute bestimmt der reinste Albtraum.«
Ian grinste. »Da musst du wohl durch, Junge. Ich beneide dich nicht.«
Jamie seufzte und trat nach den Steinchen auf dem Boden. »Pass auf Wanda auf.«
»Mach ich.«
Jamie schlurfte davon. Alle paar Schritte warf er uns noch einen Blick zu, bis er in einem anderen Tunnel verschwunden war.
»Komm, gib das mir«, sagte Ian und nahm mir die Wanne mit dem Geschirr ab, bevor ich antworten konnte.
»Es war mir nicht zu schwer«, erklärte ich.
Er grinste wieder. »Ich komme mir komisch vor, wenn ich hier mit leeren Händen herumstehe, während du diese Wanne schleppst. Verbuch es unter Galanterie. Los - lass uns ein ruhiges Plätzchen suchen und uns ausruhen, bis die Luft rein ist.«
Seine Worte irritierten mich und ich folgte ihm schweigend. Warum sollte zu mir jemand galant sein?
Er ging bis zum Maisfeld und dann in das Maisfeld hinein, wobei er zwischen den Halmen in die Furchen trat. Ich folgte ihm, bis er irgendwo mitten im Feld anhielt, das Geschirr abstellte und sich auf die Erde setzte.
»Das ist allerdings ein ruhiges Plätzchen«, sagte ich, als ich mich im Schneidersitz neben ihm niederließ, »aber sollten wir nicht arbeiten?«
»Du arbeitest zu viel, Wanda. Du bist die Einzige, die sich nie einen freien Tag gönnt.«
»So bin ich wenigstens beschäftigt«, murmelte ich.
»Alle gönnen sich heute eine Pause, also kannst du das auch tun.«
Ich sah ihn neugierig an. Durch das reflektierte Licht warfen die Maishalme von beiden Seiten Schatten, die ein gekreuztes Zebramuster auf sein Gesicht malten. Unter den Streifen und dem Dreck wirkte er blass und erschöpft.
»Du siehst schon aus, als hättest du heute gearbeitet.«
Seine Augen verengten sich. »Aber jetzt ruhe ich mich aus.«
»Jamie will mir nicht sagen, was los ist«, murmelte ich.
»Nein. Und ich werde es auch nicht tun.« Er seufzte. »Es ist sowieso nichts, was du gerne wissen würdest.«
Ich starrte zu Boden, auf die dunkelrote und braune Erde, während mein Magen rebellierte. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als nichts zu wissen, aber vielleicht lag das an meiner mangelnden Vorstellungskraft.
»Es ist ein bisschen unfair«, sagte Ian nach einem Moment des Schweigens, »da ich deine Frage ja nicht beantworten werde, aber macht es dir etwas aus, wenn ich dich etwas frage?«
Ich war froh über die Ablenkung. »Frag ruhig.«
Er sprach nicht sofort, deshalb sah ich auf, um den Grund für sein Zögern herauszufinden. Er starrte zu Boden und betrachtete die Dreckstreifen auf seinen Handrücken.
»Ich weiß, dass du nicht lügst. Mittlerweile weiß ich das«, sagte er ruhig. »Ich werde dir also glauben, egal, wie deine Antwort lautet.«
Ich wartete wieder, während er weiterhin den Dreck auf seiner Haut anstarrte.
»Ich habe Jeb seine Geschichte bisher nicht abgekauft, aber er und Doc sind ziemlich überzeugt … Wanda?« Er sah mich plötzlich an. »Ist sie immer noch mit dir da drin? Das Mädchen, dessen Körper du bewohnst?«
Es war nicht mehr nur mein Geheimnis - sowohl Jamie als auch Jeb kannten die Wahrheit. Außerdem war es nicht das Geheimnis, auf das es ankam. In jedem Fall vertraute ich darauf, dass Ian es nicht jedem auf die Nase band, der das als Anlass nehmen würde, mich umzubringen. »Ja«, sagte ich. »Melanie ist noch hier.«
Er nickte langsam. »Wie ist das? Für dich? Und für sie?«
»Es ist… frustrierend, für uns beide. Am Anfang hätte ich alles dafür gegeben, um sie loszuwerden, so wie es sein sollte. Aber jetzt habe ich … ich habe mich an sie gewöhnt.« Ich lächelte schief. »Manchmal ist es nett, Gesellschaft zu haben. Für sie ist es schwieriger. Sie ist auf vielerlei Art wie eine Gefangene. In meinem Kopf eingesperrt. Sie zieht diese Gefangenschaft dem Verschwinden allerdings vor.«
»Mir war nicht klar, dass man eine Wahl hat.«
»Am Anfang gab es die auch nicht. Erst als ihr entdeckt habt, was los
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