Seelen
flüsterte Melanie. Sie war sich der Wärme von Ians und Jamies Händen, die sich mit meinen verschränkt hatten, deutlich bewusst. Wo sonst hast du so etwas jemals gehabt?
Nirgends , gestand ich und fühlte mich nur noch schlechter. Aber das bedeutet nicht, dass ich hierhergehöre. Nicht so wie du.
Uns gibt es nur im Doppelpack, Wanda.
Als ob du mich daran erinnern müsstest…
Ich war ein bisschen überrascht, sie so deutlich zu hören. Während der letzten zwei Tage war sie schweigsam gewesen und hatte nur ängstlich und hoffnungsvoll darauf gewartet, Jared wiederzusehen. Ich war natürlich mit ähnlichen Gedanken beschäftigt gewesen.
Vielleicht ist er bei Walter. Vielleicht war er da die ganze Zeit, dachte Melanie hoffnungsvoll.
Das ist nicht der Grund, weshalb wir Walter besuchen.
Nein. Natürlich nicht. Sie klang reumütig, aber ich merkte, dass ihr Walter nicht so viel bedeutete wie mir. Sie war natürlich traurig, dass er im Sterben lag, aber sie hatte das von Anfang an akzeptiert. Mir dagegen gelang es nicht, es zu akzeptieren, noch nicht einmal jetzt. Walter war mein Freund, nicht ihrer. Ich war diejenige, die er verteidigt hatte …
Eins der gedämpften blauen Lichter leuchtete uns entgegen, als wir uns dem Krankenflügel näherten. (Ich wusste inzwischen, dass die Laternen solarbetrieben waren und tagsüber zum Aufladen in eine sonnige Ecke gelegt wurden.) Wir bewegten uns alle leise - und wurden gleichzeitig langsamer, ohne uns abzusprechen.
Ich hasste diesen Raum. In der Dunkelheit, mit den eigenartigen Schatten, die das schwache Licht hervorzauberte, war er nur noch abschreckender. Es roch anders als sonst - der Raum stank nach langsamem Verfall, nach Alkohol und Galle.
Zwei der Feldbetten waren belegt. Docs Füße hingen über den Rand des einen; ich erkannte sein leichtes Schnarchen. Vom anderen beobachtete Walter, der entsetzlich verfallen und unförmig aussah, wie wir uns näherten.
»Bist du in der Lage, Besuch zu empfangen, Walt?«, flüsterte Ian, als Walters Augen sich ihm zuwandten.
»Uhm«, stöhnte Walter. Sein Mund hing in seinem schlaffen Gesicht halb offen und seine Haut glänzte feucht in dem schwachen Licht.
»Brauchst du irgendetwas?«, murmelte ich. Ich befreite meine Hände - sie flatterten hilflos zwischen mir und Walter in der Luft.
Seine hin- und herhuschenden Augen suchten die Dunkelheit ab. Ich machte einen Schritt auf ihn zu.
»Können wir etwas für dich tun? Irgendetwas?«
Seine Augen wanderten umher, bis sein Blick auf mein Gesicht fiel. Abrupt sah er mich durch seinen Vollrausch und die Schmerzen hindurch an. »Endlich«, stöhnte er. Sein Atem keuchte und pfiff. »Ich wusste, dass du kommen würdest, wenn ich nur lang genug warte. Oh, Gladys, ich hab dir so viel zu erzählen.«
Menü
G ebraucht
I ch erstarrte und warf dann schnell einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob jemand hinter mir stand.
»Gladys war seine Frau«, flüsterte Jamie fast lautlos. »Sie ist nicht entkommen.«
»Gladys«, sagte Walter zu mir, ohne meine Reaktion zu bemerken. »Kannst du dir vorstellen, dass ich Krebs habe? So spielt das Leben, was? Ich war nie auch nur einen Tag krankgeschrieben …« Seine Stimme wurde immer leiser, bis ich sie nicht mehr hören konnte, aber seine Lippen bewegten sich weiter. Er war zu schwach, um seine Hand zu heben; seine Finger rutschten auf den Rand des Feldbetts zu, mir entgegen.
Ian schob mich vorwärts.
»Was soll ich tun?«, hauchte ich. Der Schweiß, der mir auf die Stirn trat, hatte nichts mit der feuchten Hitze zu tun.
»… Großvater ist hunderteins geworden«, keuchte Walter jetzt wieder hörbar. »Niemand in meiner Familie hatte Krebs, noch nicht mal unter den Cousins. Aber deine Tante Regan hatte Hautkrebs, oder?«
Er sah mich zutraulich an und wartete auf eine Antwort. Ian pikste mich in den Rücken.
»Äh …«, murmelte ich.
»Es kann allerdings auch Bills Tante gewesen sein«, räumte Walter ein.
Ich warf Ian einen panischen Blick zu, aber der zuckte mit den Schultern. Meine Lippen formten ein lautloses »Hilfe!«.
Er machte mir ein Zeichen, dass ich Walters suchende Finger in die Hand nehmen sollte.
Walters Haut war kreidebleich und durchscheinend. Ich konnte die dünnen blauen Adern auf seinem Handrücken sehen. Ganz vorsichtig nahm ich seine Hand, besorgt wegen seiner dünnen Knochen, die laut Jamie so brüchig waren. Sie fühlte sich ganz leicht an, als sei sie hohl.
»Ach, Gladdie, es war schwer ohne
Weitere Kostenlose Bücher