Seelen
winzigen Lächeln. »Na ja, ein paar Minuten länger bewusstlos zu sein, bringt ihn nicht um.«
Dann begann er erneut damit, Kyles Lider anzuheben und ihm den Puls zu fühlen.
»Was ist passiert?«, murmelte Wes, der neben meinem Kopf aufgetaucht war.
»Kyle hat versucht, es umzubringen«, antwortete Jared, bevor ich etwas sagen konnte. »Überrascht uns das wirklich?«
»Hat er nicht«, murmelte ich.
Wes sah Jared an.
»Altruismus scheint ihm mehr zu liegen als Lügen«, bemerkte Jared.
»Legst du es eigentlich darauf an, mich zu ärgern?«, fragte ich. Meine Geduld schwand nicht bloß, sondern war vollständig aufgebraucht. Wie lange war ich jetzt schon nicht mehr zum Schlafen gekommen? Das Einzige, was mir mehr wehtat als mein Bein, war mein Kopf. Bei jedem Atemzug schmerzte meine Seite. Ich stellte ziemlich überrascht fest, dass ich furchtbar schlechte Laune hatte. »Dann kann ich dir nämlich versichern, dass es dir gelungen ist.«
Jared und Wes sahen mich erschrocken an. Ich war mir sicher, dass die anderen ähnliche Gesichter machten, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Außer Jeb vielleicht. Er war der Meister des Pokerface.
»Ich bin weiblich«, beschwerte ich mich. »Dieses ewige ›es‹ geht mir langsam auf die Nerven.«
Jared blinzelte überrascht. Dann verhärtete sich sein Gesicht wieder. »Wegen des Körpers, den du bewohnst?«
Wes sah ihn an.
»Nein, meinetwegen «, fauchte ich.
»Wer sagt das?«
»Ihr, zum Beispiel. In meiner Spezies bin ich diejenige, die die Nachkommen austrägt. Ist euch das etwa nicht weiblich genug?«
Darauf fiel ihm nichts mehr ein. Ich triumphierte geradezu.
Gut so, bestärkte mich Melanie. Er ist im Unrecht und hat sich dir gegenüber wirklich mies verhalten.
Danke.
Wir Frauen müssen zusammenhalten.
»Das hast du uns nie erzählt«, murmelte Wes, während Jared immer noch nach einer Erwiderung suchte. »Wie funktioniert das?«
Wes’ olivfarbenes Gesicht lief rot an, als hätte er erst jetzt bemerkt, dass er die Worte laut ausgesprochen hatte. »Ich meine, du musst natürlich nicht antworten, wenn dir das indiskret vorkommt.«
Ich lachte. Meine Stimmung schlug völlig um, geriet außer Kontrolle. Absolut albern, wie Mel es genannt hatte. »Nein, du fragst nichts … Unanständiges. Das ist bei uns nicht so eine ausgeklügelte … raffinierte Angelegenheit wie bei eurer Gattung.« Ich lachte wieder und mein Gesicht wurde ganz heiß. Ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie raffiniert es sein konnte.
Hol dein Hirn mal wieder aus der Schmuddelecke zurück.
Es ist dein Hirn, erinnerte ich Melanie.
Schön wär’s.
»Sondern …?«, fragte Wes.
Ich seufzte. »Nur wenige unter uns sind … Mütter. Na ja, nicht wirklich Mütter. So werden wir zwar genannt, aber eigentlich geht es nur um das Potenzial zur Mutterschaft…« Als ich daran dachte, wurde ich wieder ernst. Es gab bei uns keine Mütter, keine überlebenden Mütter, nur die Erinnerung an sie.
»Und du hast dieses Potenzial «, fragte Jared steif.
Ich wusste, dass die anderen zuhörten. Sogar Doc hatte damit aufgehört, Kyles Brust abzuhören.
Ich beantwortete seine Frage nicht. »Wir sind … ein bisschen wie eure Bienen- oder Ameisenvölker. Unendlich viele geschlechtslose Familienmitglieder und die Königin …«
»Die Königin?«, wiederholte Wes und sah mich mit eigenartiger Miene an.
»Nicht direkt. Aber es gibt nur eine Mutter auf fünf- oder sechstausend meiner Art. Manchmal sind es weniger. Es gibt da keine verbindliche Regel.«
»Und wie viele Drohnen?«, wollte Wes wissen.
»O nein - es gibt keine Drohnen. Nein, wie gesagt, es ist viel einfacher.«
Sie warteten auf meine Erklärung. Ich schluckte. Ich hätte das Thema nicht aufbringen sollen. Eigentlich wollte ich nicht weiter darüber sprechen. War es wirklich so schlimm, wenn Jared mich ›es‹ nannte?
Sie warteten immer noch. Ich runzelte die Stirn, fuhr aber fort. Schließlich hatte ich damit angefangen. »Die Mütter … teilen sich. Aus jeder … Zelle, könnte man es vielleicht nennen - auch wenn unser Aufbau nicht derselbe ist wie eurer -, wird eine neue Seele. Jede neue Seele bekommt ein wenig der Erinnerung ihrer Mutter mit, ein kleines Stück, das weiterlebt.«
»Wie viele Zellen?«, fragte Doc neugierig. »Wie viele Nachkommen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ein oder zwei Millionen.«
Die Augen, die ich sehen konnte, weiteten sich und blickten leicht verstört. Ich versuchte, nicht verletzt zu sein, als
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