Seelen
interpretieren. Vielleicht wache ich morgen auf und habe wieder dasselbe Gefühl.«
Mel und ich zuckten zusammen.
»Aber als sie dich heute während der Sitzung so angegriffen haben … also, da hat es irgendwie klick gemacht. Ich habe all das in Ihnen gesehen, was ich nicht in mir haben will. Ich habe gemerkt, dass ich dir längst glaube und einfach nur stur bin. Grausam. Ich schätze, ich glaube dir schon seit … tja, eigentlich schon ein bisschen seit jener ersten Nacht, als du dich vor mich gestellt hast, um mich vor Kyle zu beschützen.« Er lachte, als hielte er Kyle nicht für gefährlich. »Aber ich bin ein besserer Lügner als du. Ich kann mich sogar selbst belügen.«
»Sie hofft, dass du es dir nicht noch mal anders überlegst. Davor hat sie Angst.«
Er schloss die Augen. »Mel.«
Mein Herzschlag beschleunigte sich. Es war ihre Freude, die es antrieb, nicht meine. Er musste mittlerweile ahnen, wie sehr ich ihn liebte. Nach seinen Fragen über Jamie musste ihm das klar sein.
»Sag ihr … dass sie davor keine Angst haben muss.«
»Sie hört dich.«
»Wie … unmittelbar ist die Verbindung?«
»Sie hört, was ich höre, sieht, was ich sehe.«
»Fühlt, was du fühlst?«
»Ja.«
Er zog die Nase kraus. Dann berührte er erneut mein Gesicht, sanft, eine Liebkosung. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie leid es mir tut.«
Meine Haut glühte dort, wo er mich angefasst hatte; es war ein angenehmes Glühen, aber seine Worte brannten stärker als seine Berührung. Natürlich tat es ihm mehr leid, ihr wehgetan zu haben. Natürlich. Und es sollte mir eigentlich nichts ausmachen.
»Komm schon, Jared! Lass uns anfangen!«
Wir sahen auf. Kyle rief nach Jared. Er schien seltsamerweise blendender Laune zu sein, als hätte heute nicht sein Leben auf dem Spiel gestanden. Vielleicht hatte er gewusst, dass es so kommen würde. Vielleicht kam er über alles schnell hinweg. Er schien mich neben Jared nicht zu bemerken.
Erst jetzt fiel mir auf, dass andere uns sehr wohl bemerkt hatten.
Jamie beobachtete uns mit einem zufriedenen Lächeln. Er hielt das, was er sah, offenbar für etwas Positives. War es das denn?
Was meinst du damit? , fragte Melanie.
Was sieht er, wenn er uns betrachtet? Seine Familie, erneut vereint?
Ist das nicht so? In gewisser Weise?
Mit einem unerwünschten Zugang.
Aber besser als gestern.
Das schon …
Ich weiß, räumte sie ein. Ich bin froh, dass Jared weiß, dass ich hier bin … aber ich mag es immer noch nicht, wenn er dich berührt.
Und ich mag es umso mehr. Mein Gesicht prickelte an der Stelle, über die er mit seinen Fingern gestrichen hatte. Tut mir leid.
Ich werfe dir das nicht vor. Oder zumindest ist mir bewusst, dass ich es nicht tun sollte.
Danke.
Jamie war nicht der Einzige, der uns zusah.
Jeb war neugierig und sein übliches kleines Lächeln hob die Ränder seines Barts an.
Sharon und Maggie beobachteten uns mit blitzenden Augen. Ihr Gesichtsausdruck war so ähnlich, dass Sharon trotz ihrer jugendlichen Haut und ihres leuchtenden Haars nicht jünger aussah als ihrer ergraute Mutter.
Ian war beunruhigt. Er hatte die Augen zusammengekniffen und schien kurz davor, herüberzukommen, um mich mal wieder zu beschützen. Um sicherzugehen, dass Jared mich nicht aufregte. Ich lächelte ihn beruhigend an. Er lächelte nicht zurück, atmete aber tief durch.
Ich glaube nicht, dass das der Grund für seine Beunruhigung ist, sagte Mel.
»Hörst du ihr jetzt zu?« Jared war aufgestanden, betrachtete aber immer noch mein Gesicht.
Seine Frage lenkte mich ab, bevor ich Mel fragen konnte, was sie damit meinte. »Ja.«
»Was sagt sie?«
»Wir registrieren, was die anderen von deinem … Sinneswandel halten.« Mit einem Kopfnicken wies ich ihn auf Melanies Tante und Cousine hin. Sie kehrten mir beide gleichzeitig den Rücken zu.
»Harte Nüsse«, gab er zu.
»Na gut«, brüllte Kyle und drehte sich zu dem Ball um, der an der hellsten Stelle lag. »Dann gewinnen wir eben ohne dich.«
»Ich komm ja schon!« Jared warf mir - uns - einen sehnsüchtigen Blick zu und lief aufs Spielfeld.
Ich war nicht gerade toll im Tore zählen. Es war zu dunkel, um den Ball von dort, wo ich saß, sehen zu können. Es war sogar zu dunkel, um die Spieler richtig zu sehen, wenn sie nicht direkt unter den Lampen standen. Ich begann mich beim Zählen nach Jamies Reaktion zu richten. Seinem Siegesgebrüll, wenn seine Mannschaft ein Tor schoss, und seinem Stöhnen, wenn die andere traf. Er stöhnte
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