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Seelen

Titel: Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephenie Meyer
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wie Wanda - ohne direktes Licht verraten mich meine Augen nicht -, ist es offensichtlich, dass er Bescheid weiß. Es ist ihm in der Sekunde klar geworden, als er mich berührt hat, aber die Information hat sein Gehirn erst erreicht, als er schon angefangen hatte zu lächeln.
    Er tritt einen Schritt zurück, immer noch halb lächelnd, obwohl sein Ausdruck überhaupt nichts Fröhliches an sich hat. Es ist wie das verzerrte Grinsen einer Leiche, das ein nachlässiger Leichenbestatter nicht beseitigt hat.
    Wir starren uns an.
    Ich weiß nicht, wie lange wir so dastehen. Sein Lächeln wird von Sekunde zu Sekunde schmerzlicher, bis ich es nicht mehr ertragen kann. Schließlich beginne ich zu sprechen, plappere einfach drauflos, das Erste, was mir einfällt.
    »Es geht ihr gut. Sie ist in einem Tiefkühlbehälter. Wir besorgen ihr einen Körper. Es wird ihr gut gehen. Gut. Es geht ihr gut.« Gegen Ende ist meine Stimme ganz leise. Kaum mehr als ein Flüstern.
    Während ich spreche, entspannt sich sein Gesichtsausdruck. Ein bisschen zumindest. Das verkrampfte Lächeln verschwindet, seine Mundwinkel sinken herab. Seine frostigen blauen Augen tauen auf. Aber sein Gesicht spannt sich auf andere Art neu an. Um seine Augen herum entstehen Falten. Seine schwarzen Brauen bilden einen langen dicken Strich.
    Er antwortet nicht. Wir starren uns erneut an, aber es ist nicht so unbewegt und eisig wie vorhin.
    Meine Arme sehnen sich danach, sich ihm entgegenzustrecken. Irgendeinen körperlichen Trost auszudrücken. Ich hebe sie leicht an, lasse sie dann wieder sinken. Meine Hände zucken in seine Richtung und ich balle sie zu Fäusten.
    Ihm geht es genauso. Er beugt sich ein kleines bisschen in meine Richtung, dann zuckt er leicht zurück. Das macht er dreimal, während wir uns mustern.
    Ich warte auf seine Anschuldigungen: Du hast sie meinetwegen leiden lassen. Du warst kleinlich. Du kanntest ihre Schwachstellen und hast sie ausgenutzt. Du hast zugelassen, dass sie sich opfert. Sie ist hundertmal mehr wert als du.
    Alles wahr. Ich werde nicht mit ihm streiten. Ich werde auf schuldig plädieren.
    Er sagt nichts.
    Hält er sich ihretwegen zurück, weil er weiß, dass sie es nicht gutheißen würde? Oder ist er bloß höflich, wie einer Fremden gegenüber?
    Er sagt immer noch nichts und ich frage mich, ob er einfach nicht in der Lage dazu ist. Ob er keine Worte hat für den Schmerz, der jetzt offen in seinem Blick zu Tage tritt.
    »Willst du ... zu ihr?«, schlage ich vor.
    Er antwortet nicht, aber der Schmerz in seinen Augen verändert sich ein wenig. Verwandelt sich in ... Erstaunen. Seine Hand hebt sich ein wenig und senkt sich dann wieder.
    »Sie ist bei Doc«, murmele ich. Ich drehe mich halb um, zurück zum Südtunnel.
    Ich mache einen Schritt zur Seite, gehe voraus. Er folgt mir mit einer ruckartigen Bewegung.
    Langsam, immer noch seitlich, trete ich in die Dunkelheit. Er kommt hinterher, sein Gang wird sicherer. Sobald wir im Dunkeln sind, drehe ich mich mit dem Gesicht nach vorn. Ich bewege mich vorsichtig und lausche auf ihn, um sicherzugehen, dass er noch da ist. Seine Schritte klingen fester. Er wird schneller. Nach ein paar Augenblicken folge ich ihm.
    Die Dunkelheit macht es leichter. So, als wären seine Augen geschlossen. Wir gehen schweigend, aber es fühlt sich besser an. Ich war bisher unsichtbar für ihn, aber ich war immer da, neben ihm. Jetzt, wo ich wieder unsichtbar bin, fühlt es sich genauso an.
    »Ich konnte sie nicht davon abhalten«, sage ich nach etwa fünfhundert Metern.
    Er überrascht mich, indem er mir - nach kurzem Zögern - antwortet.
    »Wolltest du das denn?«
    Seine Stimme klingt heiser, so als hätte er vorher nicht riskieren können zu sprechen, um seine Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, und ich bin erst recht froh, dass ich ihn nicht sehen kann.
    »Ja.«
    Wir gehen langsamer, ohne zu sprechen. Ich frage mich, wie es für ihn ist, meine Stimme zu hören. Er klingt wie mein Freund, aber ich muss mich für ihn wie etwas ganz anderes anhören.
    »Warum?«, fragt er schließlich.
    »Weil sie ... meine beste Freundin ist.«
    Seine Stimme klingt verändert, als er wieder etwas sagt. Ruhiger. »Das habe ich mich schon gefragt.«
    Ich sage nichts, hoffe, dass er erklärt, was er damit meint. Nach einer Weile tut er es.
    »Ich habe mich gefragt, ob jemand, der sie wirklich kennt, anders kann, als sie zu lieben. Du kanntest jeden einzelnen ihrer Gedanken.«
    »Ja«, beantworte ich die Frage, die er nicht

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