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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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fällt«, sagte Don Alvaro, »macht mehr Lärm als ein ganzer Wald, der wächst.«
    »Und der Dämon besetzt den Körper eines Menschen, um ihn zu seinem Werkzeug zu machen?«
    »Richtig.« Don Alvaro nickte.
    »Ähnlich wie bei uns«, sagte MacDeath. »Wir haben einen Mörder, der junge Frauen für seine Taten als Killer instrumentalisiert. Der sich der Drache nennt und sich mit den Worten ›Mein Name ist Legion‹ vorstellt.« Er blätterte durch die Akten. »Wir vermuten, dass er sich als gottgleich betrachtet.«
    »Er wird denken, dass es der Wille einer höheren Macht ist, was er tut.« Don Alvaro schaute beide an. »Kennen Sie die Geschichte mit Abraham und Isaak?« Er sprach nach einer kurzen Pause weiter. »Gott befiehlt Abraham, seinen einzigen Sohn Isaak auf dem Berg Moriah zu opfern. Als Abraham seinen Sohn auf den Opferstein gefesselt und schon das Messer erhoben hatte, griff der Engel Gottes ein und hält den Arm Abrahams fest. Abraham hatte den Treuetest Gottes bestanden. Er wäre bereit gewesen, seinen eigenen Sohn zu opfern. Nur das Eingreifen Gottes hielt ihn davon ab.«
    Clara musste an das Beispiel von MacDeath denken, an Albert Fish, der glaubte, die Morde, die er beging, seien im Sinne Gottes, da Gott ihn anderenfalls aufgehalten hätte. Fish, der sich in Gewitternächten nackt auf einen Hügel gestellt und gerufen hatte: »Ich bin Christus.«
    »Dann wartet unser Killer auch …?«
    »Er wartet vielleicht ebenfalls auf den Moment, in dem Gott eingreift, um sein Messer festzuhalten. Oder er wartet auf Satan, damit der ihn in sein Reich holt. Solange das nicht geschieht, glaubt er, alles was er tut, wäre im Sinne Gottes. Oder des Satans. Solange ihn niemand aufhält, ist sein Wille Gesetz. Und sein Tun ist legitimiert. Von ganz oben, sozusagen.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen. »Oder von ganz unten.«
    »Und vorher wird er nicht aufhören?«, fragte Clara.
    »Ich kenne den Mörder nicht«, sagte Don Alvaro. »Aber was meine Erfahrung angeht … nein.«
    Don Tomasso nickte beipflichtend.
    »Der Mörder«, sagte MacDeath, »scheint Opfer zu bevorzugen, die nach außen hin eine weiße Weste haben, aber ein dunkles Geheimnis in sich tragen.«
    »Dann tötet er die, die noch böser als böse sind«, sagte Don Alvaro. Don Tomasso hörte aufmerksam zu. »Die, die nach außen gut erscheinen. Und das ist genau der Weg, wie auch der Satan in der Welt handelt. Er ist das Böse, das sich als Gutes verkleidet.«
    »Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«, sagte MacDeath.
    »Sehr gut«, sagte Don Alvaro, »Ihren Faust kennen Sie also auch. Sollten Sie auch. Aber der Satan will nicht nur das Böse, er schafft es auch. Und er stellt es so dar, dass es gut aussieht. Dass es dem Mainstream entspricht, wie man es heutzutage so gerne ausdrückt. Politisch korrekt.«
    »Der Killer tötet böse Menschen«, sagte Clara. »Aber was ist sein Motiv?«
    Don Alvaro strich sich über seinen Bart. »Vielleicht ist es der Tod selbst.«
    »Der Tod?«
    »Ja. Denn der Tod«, sagte Don Alvaro, »und hier spreche ich einmal wie ein Wissenschaftler, stellt den Sinn aller menschlichen Anstrengungen am radikalsten infrage. Alles, was man sich auf Erden aufgebaut hat, ist am Tag des Todes unwiederbringlich vorbei und verloren. Was dazu führt, dass gerade Religionen als sinnstiftende Deutungssysteme den Tod thematisieren. Es muss doch irgendetwas nach dem Tod kommen. Es kann doch nicht alles vorbei sein.«
    »Für die, die in den Himmel kommen, geht es doch auch erfreulich weiter«, sagte Clara und lehnte sich zurück, während MacDeath andächtig auf einer Olive kaute und mit einem Schluck Rotwein nachspülte.
    »Richtig«, sagte Don Alvaro. »Sie sterben nicht wirklich, weil Christus stellvertretend für sie gestorben ist und die sündige Menschheit erlöst hat. Doch es gibt noch die anderen. Die Verdammten. Für die gibt es in der Offenbarung zwei Tode. Den ersten und den zweiten Tod.«
    Clara sah wieder all die Toten vor ihren Augen, die nachts in ihren Träumen auftauchten. Es reichte ihr eigentlich, dass sie einmal gestorben waren.
    »Der zweite Tod«, sagte Don Alvaro. »Zum ersten Mal erscheint dieser Begriff im Totenbuch der Ägypter. Die Menschen, die ein schlechtes Leben geführt haben und von Osiris verdammt wurden, werden nach dem Tod von einer riesigen Schlange gefressen. Diesen Tod nach dem Tod nennt das Ägyptische Totenbuch ›Den Zweiten Tod‹. Auch die

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