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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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würde sich darum kümmern. Clara und die anderen mussten erst einmal wissen, was mit Isabel Venturas war. Vielleicht lebte sie ja noch. Oder die Täter waren gerade bei ihr.
    Oder sie war bereits tot, auf ähnlich grausame Art und Weise gestorben wie Franco Gayo.
    Gemeinsam mit den Schweizer Polizisten stürmten sie in die Klinik, über getäfelte Korridore und an großen, hellen Zimmerfluchten vorüber, an Sitzecken, Behandlungszimmern und Terrassen. Weiter, immer weiter und tiefer ins Innere des Bauwerks, das sich wie ein Rachen öffnete, der irgendwann zuschnappen würde, wenn sie tief genug in seine Eingeweide vorgedrungen waren.
    Denn da war etwas. Clara konnte es spüren. Irgendetwas, das auf sie wartete.
    »Hier ist es«, sagte einer der Polizisten. »Laut Plan ist dies hier das Zimmer von Frau Venturas.«
    Die Tür war verschlossen, der Schlüssel im Schloss abgebrochen.
    »Wir sind vor der Tür«, sprach Clara in das Funkgerät. »Wir gehen jetzt rein. Over.«
    »Viel Glück. Over«, sagte die Stimme am anderen Ende.
    Clara hakte das Gerät an ihren Gürtel.
    Die Schweizer Polizisten brachen mit einem Rammbock die Zimmertür auf, die krachend aus den Angeln flog.
    Manchmal ist eine Tür wie ein Eingang zu einer anderen Welt. In diesem Fall war es die Tür zu einer Welt, die es nicht geben durfte, nicht geben sollte. Mit Dingen, die man nicht sehen durfte, nicht sehen sollte. Bei denen man hoffte, dass man schreiend aufwachte und alles nur ein Albtraum war – um schließlich festzustellen, dass man zwar geschrien hat, aber der Traum noch lange nicht zu Ende ist. Weil es kein böser Traum war. Denn die Wirklichkeit kann brutaler sein als jeder Albtraum.
    Clara sah alles in einem einzigen, kurzen Augenblick. Ein winziger Moment, in dem Bilder des Grauens aufblitzten, die aus den Schatten hervorhuschten und dann wieder darin verschwanden.
    Es waren Bilder einer Nacht, die keinen Morgen kannte.
    Ein Tisch. Ein Bett. Eine Leinwand.
    Und das Geräusch. Ein entsetzliches Geräusch.
    Clara sah zuerst den Tisch mit der weißen Tischdecke. Darauf ein festliches Gedeck. Messer und Gabel, eine Flasche Rotwein, eine Karaffe mit Wasser. Dann huschte ihr Blick zur Leinwand. Auf dieser Leinwand lief ein Schwarz-Weiß-Film. Clara sah, wie jemand etwas aufspießte und zum Mund führte, sah die mahlenden Bewegungen des Kiefers, sah die schlechten Zähne, schief und krumm wie verwitterte Grabsteine. Und durch die Lautsprecher hörte sie das schmatzende Geräusch der Lippen, das Knirschen der Zähne und das glucksende Schlucken, als der verzerrte Mund das noch warme Fleisch verschlang.
    Ihr Blick huschte wieder zum Tisch, als würde ihr Bewusstsein ihr den größten Schrecken bis zum Ende aufsparen. Auf dem Tisch ein großer Teller. Darauf Reste von irgendetwas Kleinem. Sie sah abgenagte Knochen und etwas, das sie an Rippen erinnerte.
    »Clara?«, drang die Stimme aus dem Funkgerät. »Alles in Ordnung? Over.«
    Sie reagierte nicht.
    Ihr Blick huschte zum Bett.
    Und dort lag sie.
    Die Frau, die sie verhaften wollten. Die Füße waren an das Bett gekettet, das Gesicht zu einer Fratze diabolischen Grinsens verzerrt, denn jemand hatte ihr die Lippen abgeschnitten. Die Handgelenke waren mit Kabelbinder zusammengebunden, die Hände mit zwei großen Nägeln in einer blasphemischen Geste des Betens aufeinandergenagelt.
    Die Beine gespreizt, lag Isabel Venturas auf dem von braunrotem Blut getränkten Bettzeug.
    Sie musste es sein. Denn Clara erkannte die Frau auf dem Foto, trotz der weggeschnittenen Lippen. Ihr Unterleib war eine einzige schwarzrote Wunde. Der Kopf war verdreht und gegen die Wand gelehnt, die Augen in einem Ausdruck unsäglichen Entsetzens aufgerissen.
    Neben dem Bett ein kleiner, silberner Tisch. Darauf Skalpelle. Und eine lange Zange.
    »Clara, was ist los?«, erklang prasselnd und knisternd die Stimme aus dem Funkgerät. »Melden Sie sich. Over.«
    Sie versuchte zu sprechen. Dann aber zuckte ihr Blick noch einmal zum Tisch, noch einmal auf den Teller. Dem Teller, auf dem die blutigen Reste von etwas lagen, was sie nicht sein konnten, nicht sein durften.
    Und dann sah sie das Gesicht in dem Kopf, der neben dem Teller lag. Das, was einmal ein Gesicht werden sollte und Clara nun aus geschlossenen Augen anstarrte.
    »Clara, was ist los? Hören Sie mich? Over.«
    Sie konnte nicht sprechen. Sie konnte gar nichts tun.
    Die Toten. Die viel zu vielen Toten, dachte sie, während sich der Ausdruck des kleinen, unfertigen

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