Seelenangst
Wunde fließen würde.
Clara spürte nichts. Sie fixierte den Drachen, während er die Waffe wegzog. Dann sank sie langsam zu Boden.
»Ich werde deine Seele fressen«, sagte der Verrückte. »Und mit deinem Körper werde ich interessante Dinge anstellen. Ich werde dir zuerst den Kopf abschneiden, ganz langsam, mit stumpfer Klinge, und ihn an die Wand hängen. Und dann …«
Weiter kam er nicht.
Er hatte nicht gemerkt, dass Clara, während sie zu Boden sank, das Messer aus ihrem Stiefel gezogen hatte. Das Messer, das sie nun, als sie aufsprang, in einem silbernen Halbkreis des Todes durch die Luft schwirren ließ, bis es mit einem hässlichen, knirschenden Geräusch in den Hals des Drachen drang. Sie hatte mit solcher Kraft zugeschlagen, dass die Messerklinge bis zum Heft im Hals des Mannes versank und die Spitze auf der anderen Seite wieder heraustrat.
Der Drache riss den Mund auf. Trotz seiner schwarzen Brille glaubte Clara, eine Mischung aus Fassungslosigkeit, Schmerz und Panik in seinen Augen zu sehen. Sie hörte das hohle Krächzen, das tief aus seinem Rachen drang, während sein Mund sich mit Blut füllte, das sich über sein Kinn auf die Brust ergoss, während aus den Halswunden Fontänen von hellerem arteriellem Blut nach rechts und links spritzen.
Wie ein Springbrunnen des Grauens stand er vor ihr, taumelnd, die Waffe noch in beiden Händen. Dann öffnete er noch einmal den Mund, gab ein feuchtes gurgelndes Geräusch von sich und schlug lang zu Boden.
Er war in der Hölle angekommen.
Die Hölle, die er so sehr ersehnt hatte.
*
Der Drache war tot, weil er den Fehler machen musste, den das Böse zwangsläufig macht, weil es böse ist.
Claras Plan war aufgegangen.
Der Drache hatte geglaubt, er hätte sie mit ihrer eigenen Waffe töten können, weil er sicher gewesen war, dass Clara ihn mit dieser Waffe töten wollte. Denn in seiner Vorstellungswelt gab es keine Gnade, kein Erbarmen, keine Erlösung.
Nur, Clara hatte ihn nicht töten wollen, nicht mit dieser Waffe jedenfalls. Aber das hätte der Drache in seiner Hybris ohnehin nicht glauben können.
Und das hatte Clara sich zunutze gemacht. Deshalb hatte der Drache sterben müssen, nicht sie.
Der Körper des Drachen zuckte ein letztes Mal. Das Messer in seinem Hals sah wie ein groteskes Schmuckstück aus.
Clara dachte an die Worte Don Alvaros, die er ihr zum Abschied in Rom gesagt hatte und die wie Stimmen in ihrem Inneren gewesen waren, als sie den Plan, der sich auf diese Worte stützte, in die Tat umgesetzt hatte.
Stärke, die du nach außen trägst, kann sich gegen dich wenden. Gottes Kraft ist in der Schwachheit stark.
Clara zog dem Drachen die Waffe aus den Händen.
Die Waffe, die sie vorher mit Schreckschusspatronen geladen hatte.
8
Die Leiche des Drachen lag in einer Blutlache auf dem Boden. Clara schloss ihm nicht die Lider. Ihr Gesicht wäre das letzte Bild, das auf seinen wahnsinnigen Augen gespeichert sein würde.
Die Polizei, die vorher so schmerzlich gefehlt hatte, war jetzt in Scharen vor Ort. Auch Winterfeld und von Weinstein waren gekommen. Drei Kriminaltechniker wuselten um den Toten herum, während Winterfeld und von Weinstein interessiert den Hals der Leiche betrachteten und das Messer, das darin steckte.
Einer der Polizisten hatte irgendwie mit dem Kult des Drachen in Verbindung gestanden, so viel stand fest. Er war in dem Scharmützel erschossen worden, doch die Ermittlungen liefen auf Hochtouren. Genützt hatte es Clara nichts. Die Drecksarbeit hatte sie mal wieder allein machen müssen. Die Leute, die große Reden geschwungen hatten, Clara solle sich aus Selbstschutz von dem Fall fernhalten, hatten am wenigsten dazu beigetragen, dass der Drachen tot war.
»Betrachten Sie mich als zurück in dem Fall«, sagte Clara und packte ihre Sachen in eine große Tasche. »Und wenn Bellmann irgendwas dazu bemerken sollte, dann sagen Sie ihm, dass ich mich genauso von dem Fall fernhalte, wie das LKA mir Personenschutz gewährt hat.«
Winterfeld schien zu verstehen, dass hier alle Argumente zwecklos waren.
»Beschützen konntet ihr mich nicht«, sagte Clara und wandte sich zum Gehen. »Und den, der mich umbringen wollte, musste ich selbst töten.«
Sie ging an Winterfeld und von Weinstein vorbei, die neben der Leiche des Drachen knieten, dem noch immer das Messer im Hals steckte und dem die Brille selbst beim Sturz nicht heruntergefallen war.
»Und mein Messer hätte ich nachher auch gerne wieder«, sagte Clara zum Abschied,
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