Seelenangst
stieg in einen der Einsatzwagen und rief MacDeath an.
*
Clara blickte aus dem Wagenfenster, das Mobiltelefon in der Hand, während das sichere Haus, das sich beinahe als tödliche Falle erwiesen hätte, hinter ihr am Horizont verschwand – mitsamt dem geköpften Polizisten und dem toten Drachen. Sie berichtete MacDeath mit knappen Worten, was geschehen war. Auch wenn der in seinem Leben schon so manche bizarre Geschichte gehört hatte, war Clara die Anspannung in seiner Stimme nicht entgangen, als sie vom Angriff des Drachen erzählte.
»Nein, ich bin nicht verletzt. Bloß ein paar Kratzer«, sagte sie. Ihr Gesicht war leicht angeschwollen, und ihr Magen schmerzte, wo die Faust des Verrückten sie getroffen hatte, aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit.
»Und der Drache ist tot?«
»So tot, wie man nur sein kann.«
»Hatte Mandy Sie nicht davor gewarnt, weiter an dem Fall zu arbeiten?«
»Ja. Sie hatte gesagt, wenn ich nicht aufhöre, würde man sich um mich kümmern. Das sei keine Drohung, das sei ein Versprechen.«
Sie hielt kurz inne.
»Woher wussten der Drache und die anderen, dass ich an ihm dran bin?«
»Gute Frage«, erwiderte MacDeath. »Vielleicht hat er uns beobachtet, als wir Mandy in die Klinik gebracht haben.«
Clara schaute nachdenklich auf die Plattenbauten der Landsberger Allee, die draußen am Fenster vorbeizogen. Da war noch etwas. Ein umrisshafter, nicht greifbarer Gedanke, wie ein Traum, den man nur flüstern durfte, weil man sonst aufwacht und der Traum zu Ende ist. Sie musste noch eine Weile darüber nachdenken, vielleicht kam es dann von selbst wieder.
»Ich bin in zwanzig Minuten im Büro«, sagte sie. »Ich habe so eine Ahnung. Wollen wir gleich sprechen?«
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte MacDeath.
9
Sie saßen in MacDeaths Büro. Clara genoss den Earl Grey mit Zitrone, der vor ihr auf dem Tisch stand.
Sie hatte ein paar Gedanken auf ein Blatt Papier gekritzelt und wiederholte den Spruch des heiligen Paulus, den Don Alvaro zitiert hatte und der ihr vorhin das Leben gerettet hatte:
Kraft, die du nach außen trägst, kann sich gegen dich wenden. Gottes Kraft ist in der Schwachheit stark.
»Der Drache«, sagte sie, »war vielleicht doch nicht der Marionettenspieler, als den wir ihn gesehen haben. Er hat Menschen wie Mandy und Hendrik benutzt, aber er ist auch selbst in Erscheinung getreten. Auch er hat die Drecksarbeit erledigt. Deshalb ist er selbst zu mir gekommen. Er wollte mich eigenhändig töten. Bei Isabel Venturas war er ebenfalls dabei. Ich habe die Mundpartie, die ich auf dem Video in Venturas’ Zimmer gesehen habe, wiedererkannt. Das war er. Er selbst hat ihr das Kind aus dem Leib geschnitten … und alles andere. Wahrscheinlich war er auch bei Gayos Ermordung dabei.«
»Und das heißt?«, fragte MacDeath.
»Gegenfrage«, sagte Clara. »Was war das Motiv des Drachen?«
»Er wollte die Bösen umbringen, um dann als Erzdämon in der Hölle über sie zu herrschen.« MacDeath lächelte matt. »Die langfristige Karriereplanung, von der Winterfeld gesprochen hat.« Er zog sein Notizbuch hervor, das er in Rom dabeigehabt hatte.
»Es gibt Legenden«, las er vor, »die besagen, dass Erzdämonen, die nicht mehr böse genug sind, von Menschen ersetzt werden. Das könnte ein Motiv des Drachen sein.« Er schaute Clara an. »Das hat Don Alvaro gesagt.«
»Stimmt. Und sein Sekretär, dieser Tomasso, hat kritisch dreingeschaut.«
»Wahrscheinlich war ihm die Vorstellung zu exotisch«, sagte MacDeath. »Was sie ja auch ist.«
»Der Drache hat allerdings etwas Ähnliches gesagt, bevor er mich töten wollte.« Clara dachte an die Szene zurück. »Er sagte sinngemäß, ich sei wertvoll für ihn, weil ich viele Mörder getötet hätte. Dieses Böse würde er in sich aufnehmen.«
MacDeath hob die Augenbrauen. »Dann ist es tatsächlich sein Motiv.«
»Und woher wusste Alvaro das?«
MacDeath zuckte die Schultern. »Von seinen Exorzismen, nehme ich an, von den Satanskulten, gegen die er kämpft, vielleicht auch von der Polizei …«
Clara merkte, wie der flüchtige Gedanke von vorhin zurückkam. »Don Alvaro war der Einzige, der wusste, wo Winterfeld mich versteckt hat. Sonst wussten nur ein paar Eingeweihte innerhalb der Polizeibehörde davon. Sie haben mit ihm telefoniert und sich bei ihm erkundigt, was er von dem Plan hielte, mich in dem sicheren Haus in der Nähe der Landsberger Allee unterzubringen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und was hat Alvaro geantwortet?«
»Dass
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